Mein erster
Besuch in Bergen liegt fast 30 Jahre zurück. Damals kam ich in
Begleitung des zuständigen Pfarrers Ludwig Schumann, der inzwischen
ein Schriftsteller geworden ist. Der Hof wurde als Volkseigenes Gut
bewirtschaftet, war aber schon nicht mehr bewohnt. Noch standen die
Ställe und Scheunen mit Dächern im unteren Hof, rechts und links
vom Tor. Und auch der Turm, der fälschlicherweise oft für einen
Kirchturm gehalten wird, hatte noch ein Dach. Die alte Glocke lag
damals im Bördemuseum in Ummendorf, aber die alte Uhr mit zwei im
spitzen Winkel an der Außenwand angebrachten Zifferblättern war
noch vorhanden. Schon ein halbes Jahr später war der Verfall rasant
fortgeschritten.
Schreiben an die Behörden und an das Ummendorfer Museum mit dem
Hinweis auf eine fast komplett erhaltene anlage des DO aus dem 16.
Jahrhundert hatten ebensowenig Erfolg, wie eine Veröffentlichung im
"Eulenspiegel".
Ein Wiedersehen nach fast einem Viertel Jahrhundert brachte zwei
Überraschungen: von den Wirtschaftsgebäuden im unteren Bereich des
Hofes war außer den Außenmauern nichts mehr zu sehen, aber an den
Häusern und der Kirche im oberen Bereich des Hofes wurde gebaut.
Das Ehepaar Kremer hatte sich der Kommende angenommen.
Und seit kurzem wird das uralte Grundstück wieder bewohnt - von
jungen Leuten und ihren ganz jungen Kindern.
Solchen Wechsel von Verfall und Aufbau hat der Hof Bergen im Laufe
seiner mehrhundertjährigen Geschichte immer wieder
erlebt.
Die Kapelle war Jahrhunderte lang der Mittelpunkt des Deutschordens-Hauses (der Kommende oder Komturei) Bergen. Schon vor mehr als 700 Jahren blickten die Ordensbrüder und ihre Leute auf die beiden Figuren, die wir über dem ausgang sehen. Manche Kunsthistoriker erkennen die Reste einer Deesis: Maria und Christus ohne Johannes. andere sehen die Reste einer Kreuzigungsgruppe: Maria und Johannes ohne Christus. In Dahnsdorf bei Niemeck steht die einzige ehemalige DO-Kapelle im Land Brandenburg - bis zur annektion durch Preußen 1815 gehörte der Ort zu Sachsen. Dort wurde eine ähnliche, aber wesentlich jüngere Gruppe aus Holz als Triumphkreuzigungsgruppe aufgestellt. Die spätgotischen Schnitzfiguren Maria und Johannes in Dahnsdorf stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Figuren in Bergen entstanden in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts - 100 Jahre vor den berühmten Skulpturen der Jungfrauen und des heiligen Mauritius im Magdeburger Dom, zur Zeit der Kämpfe zwischen Kaiser Friedrich I. Barbarossa und Herzog Heinirch dem Löwen.
1179 bestätigte Friedrich I. dem Brandenburger Domkapitel - damals mit Sitz in Burg - Besitzungen in Klinke bei Bergen, darunter eine Mühle. Der DO wurde als Ritterorden erst 1198, zwei Jahrzehnte danach, gegründet.
Die beiden
anderen geistlichen Ritterorden sind wesentlich älter. Der
Ritterliche Orden St. Johannis vom Spital zu Jerusalem - der
Johanniter-Orden - entstand während des 1. Kreuzzuges im Jahre
1099. Damals wurde Jerusalem erobert, die Kreuzfahrer plünderten
und mordeten hemmungslos.
So steht es im Brockhaus. Wie lange noch?
Unter Papst Ratzinger hat eine Neubewertung der Kreuzzüge begonnen.
auf einer Konferenz in der päpstlichen Universität Regina
apostolorum in Rom im März d.J. die edlen absichten der
Kreuzfahrer betont, nämlich der Wiedergewinnung des Heiligen Landes
für das Christentum. Der Geschichtswissenschaftler Roberto de
Mattei charakterisierte die Kreuzzüge als eine antwort auf die
muslimische Invasion in christliches Land und die Zerstörung
heiliger Stätten. Die Kreuzritter seien Märtyrer
gewesen, die ihre Leben für den Glauben opferten. Mehrfach
wurde darauf hingewiesen, dass das Bild über die barbarischen
Kreuzritter während der Kreuzzüge nur dem islamischen
Fundamentalismus und Osama bin Ladens Version der
Geschichte unterstützen würde. Einige Kreuzritter seien
lediglich undiszipliniert und fähig gewesen, Grausamkeiten
zu begehen.
20 Jahre nach dem Johanniterorden wurde in Jerusalem der Orden der armen Ritter Christi vom Tempel Salomonis (Pauperes Commilitones Christi templique Salomonis) gegründet - nach dem Ordenssitz in der al-aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg auch Ritter vom Tempel (Fratres militiae templi), Tempelherren, Tempelbrüder, Templer genannt. Die Templer hatten 1310 einen Hof in Jerdingsdorf westlich von Seehausen/Börde, also ganz in der Nähe Bergens. Der Halberstädter Bischof hatte damals die Templer in seiner Diözese gefangen nehmen lassen und ihre Güter eingezogen. 1312 wurde der Templerorden auf Betreiben des französischen Königs Philipp IV. durch den Papst aufgehoben.
Die Johanniter fassten in der Mark Brandenburg Fuß. 1160 schenkte Albrecht der Bär dem Orden die Kirche und sechs Hufen Landes zu Werben (an der Elbe bei Havelberg). Die Komturei Werben war die erste Niederlassung dieses Ordens in Norddeutschland - sie wurde für 250 Jahre Sitz der Herrenmeister der Ballei Brandenburg mit Komtureien auch in Pommern und den Wendenlanden. Danach wurde Sonnenburg (Slonsk) bei Küstrin (Kostrzyn) das Zentrum der Johanniter in der Ballei Brandenburg. Um 1530 spaltete sich der evangelische Zweig (die Johanniter) vom katholischen (den Maltesern) ab. 1538 berichtete der Landkomtur der Ballei Sachsen dem Hoch- und Deutschmeister Walter v. Cronberg, dass die Johanniter im Erzstift Magdeburg kaum Güter hätten. 1811 wurde die Ballei Brandenburg aufgelöst.
Der DO wurde 1198 vom Papst als geistlicher Ritterorden bestätigt - mit der Verpflichtung zum Kampf für den Glauben. 1190 war bei der Belagerung akkons eine karitative Vereinigung deutscher Teilnehmer am 3. Kreuzzug entstanden, die Vorläuferin des Ordens. Das war also ein Jahrhundert nach der Gründung des Johanniterordens, und es war ein Jahrhundert vor dem Ende des Königreichs Jerusalem und dem abzug aller kreuztragenden Besatzer aus Palästina.
Ein deutscher Orden hatte selbstverständlich schriftlich fixierte Vorschriften für alle Lebenslagen seiner Mitglieder, bis hin zur Ess-, Kleider- und Schlafordnung. Von den Templern übernahm er die Regeln für den Ritterdienst, also den Kampf für Demokratie, Menschenrechte und Christentum auf Leben und Tod; von den Johannitern schrieb er die Vorschriften für den Hospitaldienst ab, und die Dominikaner waren das Vorbild für die ausbreitung des Glaubens durch Predigt und Unterricht.
Die Schutzheilige des DO war die Jungfrau Maria. Die Schutzheilige dieser Kirche in Bergen war sie schon, bevor das Dorf mit allem Zubehör einschließlich Kirche dem DO geschenkt wurde. In einem der vielen Namen des Ordens wird sie genannt: Ordo Teutonicus S. Mariae in Jerusalem (O.T.), Orden der Brüder des Hospitals St. Marien der Deutschen zu Jerusalem / vom Deutschen Haus der Heiligen Maria in Jerusalem. ("Die Brüder vom Deutschen Hause" überschrieb Gustav Freytag ein Kapitel seines Romans "Die Ahnen".) andere Namen sind Deutscher Orden (DO), Deutschorden, Deutschherrenorden, Deutschritterorden, Deutscher Ritterorden. Wegen des auffälligen weißen Mantels mit dem schwarzen Kreuz, den die Ritterbrüder trugen und in dem sie beerdigt wurden, hießen sie auch Mantelherren - das schwarze Kreuz auf weißem Grund ist heute noch auf dem fliegendem Mordgerät der Bundeswehr zu sehen. Der Name Kreuzritterorden ist nicht korrekt - das waren die Johanniter und Templer auch.
1214 kämpfte am Remkersleber See ganz in der Nähe von Bergen - das gehörte noch nicht dem DO - der Welfe Otto IV. als Gegenkönig Friedrichs II. gegen den kaisertreuen Erzbischof Albrecht von Magdeburg und besiegte ihn. als der See Stück für Stück trockengelegt wurde, gab es ständig Streit zwischen den Leuten der Komturei und den Bauern von Remkersleben um die Weiderechte auf dem neu gewonnenen Land.
Kaiser Friedrich II. - Federico - (1220-1250) lag ständig im Streit mit dem Papst. Er war ein Förderer des DO unter dem Hochmeister von 1209-1239 Hermann v. Salza, unterstützte den abzug des Ordens aus Palästina und legitimierte 1226 - in Ermangelung einer UNO-Resolution - mit der Goldenen Bulle von Rimini die Eroberung und Besatzung des Kulmer Landes und die Gründung des Ordensstaates Preußen. als Reichsfürsten in Preußen führten die Hochmeister den schwarzen adler auf weißem Grund im Wappen. Vom Ordensland übernahm das Königreich Preußen die schwarz-weiße Flagge und den adler. Der oft gerupfte schwarze adler lebt heute noch im Bundestag, auf den deutschen 1-Euro-Münzen und ganz klein ganz oben rechts im Wappen von Sachsen-anhalt.Mit der
Eroberung und Besetzung Preußens zwecks Missionierung, Zivilisierung, Kultivierung und
Demokratisierung der Pruzzen wuchs die Bedeutung der Ordensgüter in
Sachsen und Thüringen als Nachschubbasen für die Besatzer. Der Weg
von den Kommenden im ehemaligen Sachsen und in Thüringen zur
Ostfront in Preußen war wesentlich kürzer als der Weg in den Nahen
Osten nach Palästina.
Zum Nachschub gehörten angeworbene und in der Kriegskunst
ausgebildete Ritter und geschulte Priester, weil Ordensritter und
-priester in Preußen ihre abgänge durch Kriegsverluste und
altersschwäche nicht auf natürliche Weise ersetzen konnten - das
Keuschheitsgelübde war in dieser Hinsicht ein Eigentor. Zu den
aufgaben des Hinterlandes gehörte die Zucht und Dressur von
Ritterpferden - Tiere, die unter der gewaltigen Last eines
gepanzerten Totschlägers nicht zusammenbrachen und den Befehlen des
Reiters auch im Kampfgetümmel gehorchten.
Im Jahre 1507, als im Haus Bergen vier Ordensbrüder lebten - zwei
davon waren Priester - zählte man in der Wirtschaft zwölf Hengste,
zwölf Stuten und 13 Falben = Ritterpferde. Noch 1589 gehörten zur
Wirtschaft neben den Stuten und drei Kutschpferden 24 Traber- oder
Reitpferde und sechs dreijährige, drei zweijährige, zwei einjährige
und vier abgerichtete Fohlen. Da hatten die Hufschmiede in der
neben dem Eingangstor zur Komturei gelegenen Schmiede wohl genug
arbeit. aber man kann nicht ausschließen, dass es auch
Waffenschmiede gab, die mit deutscher Wertarbeit Rüstzeug für den
Heidenkampf fertigten. Das Bergener Bier konnte allenfalls als
Getränk auf der langen Reise dienen. Zu den aufgaben der
Ordensbrüder gehörte sicherlich die Beschaffung von
Sponsorengeldern für die anwerbung von Söldnern. (Die Sponsoren des
DO heißen heute noch Familiare - es gibt deren etwa 700, sie wirken
eher im Stillen, wenn nicht gerade ein Finanzierungsskandal
beispielsweise den bayerischen Ministerpräsidenten STOIBER als
Familiar des DO outet.)
Im 13. Jahrhundert entstanden durch Schenkungen und Käufe die Niederlassungen des DO im alten Sachsen, das Heinrich der Löwe schon 1180 verspielt hatte, als es den DO noch gar nicht gab. Das erste Deutschordenshospital entstand im Jahre 1200 in Halle.
Das Dorf Bergen mit Kirche kam erst 1272 durch Schenkung an den Orden. Vorher hatten die Markgrafen von Brandenburg Otto IV. mit dem Pfeile [Mgf. 1266-1309] und Otto V. [Mgf. 1267-1283] das Dorf den Brüdern v. Barby überlassen - Barby ist eine Kleinstadt an der Elbe, die Herren v. Barby waren ein altes und zählebiges Geschlecht - um 1570 war ein Graf v. Barby Landkomtur des Ballei Thüringen. Um 1270 lag Otto IV. von Brandenburg im Streit mit dem Erzbischof von Magdeburg - damals hatte er den namengebenden Pfeil aus Staßfurt noch nicht im Kopf.
1287 wurden die Balleien (Ordensprovinzen) Sachsen und Thüringen voneinander getrennt. Es scheint, dass damals schon der Landkomtur der Ballei Sachsen seinen Sitz in der Kommende Lucklum nahm, die dann im Laufe der Jahrhunderte zur Landkomturei - dem ständigen Sitz der Landkomture - wurde.
Fast ein Jahrhundert später - 1377 - gewährte der Legat des apostolischen Stuhles allen Bußfertigen einen Ablass von 40 Tagen, wenn sie zur Kirchweih - am Gedächtnistage der Kirchweihung - die Kirche der Deutsch-Ordensbrüder zu Bergen in der Magdeburgischen Diözese besuchten. Möglicherweise war damals die Ordenskapelle größer als heute - der Pfarrer Georg Müller hat 1689 vermutet, die Kirche sei ursprünglich doppelt so groß gewesen und erst um 1570 halbiert worden. Moderne Denkmalspfleger bezweifeln das. Im Dachgeschoss sind an der Ostwand der Kapelle drei alte vermauerte Fensteröffnungen zu erkennen, die müssten, wenn der alte Pfarrer Recht hatte, zum Turm an der Ostseite der Kirche gehört haben.Im Jahre 1507 hielten die Ordensbrüder ihr Balleikapitel in Bergen, sie entließen damals Konrad v. Uttenrode in allen Ehren aus der Verantwortung für die Ballei Sachsen - er war bis dahin Landkomtur der mal wieder vereinigt gewesenen Balleien Thüringen und Sachsen gewesen - und wählten Martin Töpfer als Kandidaten für das amt ihres Landkomturs.
Die
Ordenshierarchie kannte Laien-, Priester- und Ritterbrüder sowie
Familiaren - erst viel später auch Ordensschwestern. Die unterste
Befehlsgewalt übten die Komture (Commendatoren, Kommandeure) aus.
Ihnen unterstanden Personal und Güter einer Kommende
("Kommandantur"). Die Kommenden wurden zu einer Ordensprovinz oder
Ballei unter einem Landkomtur zusammengefasst. Die Ordensprovinzen
und die Landkomture unterstanden dem Generalkapitel des Ordens und
dem Deutschmeister, sozusagen dem Generalsekretär.
Die Karriereleiter eines Landkomturs begann gewöhnlich mit der
Entwicklung von einem Ritter im Probejahr (oder in der
Kandidatenzeit) zum eingekleideten Ritterbruder, in Kommenden mit
mehreren Ordensbrüdern wurde er Hauskomtur/Verwalter eines
Ordenshofes, dann Komtur und nach dem ableben des
Landkomturs zunächst Balleiverwalter, der vom Balleikapitel
eingesetzt und mit noch einem Kandidaten dem Deutschmeister
vorgeschlagen wurde. Der bestätigte einen von den beiden als
Statthalter und schlug ihn dem Generalkapitel des Ordens als
Landkomtur auf Lebenszeit vor.
Nach diesem Exkurs, der sich nur auf schriftliche Quellen stützen konnte, nun wieder ein Blick auf Sachzeugen der Vergangenheit. Ein Komturstuhl und ein Beichtstuhl mit Bildnissen Luthers un Melanchthons verweisen auf die Reformationszeit. - Noch lange nach der Reformation hing in der Kapelle ein schönes Bild aus papistischer Zeit: die Keltertretung Christi mit dem Papst und den Kardinälen, darunter vermutlich Markgraf Albrecht v. Brandenburg, seit 1513 Kardinal, Kurfürst, Erzbischof von Mainz und Magdeburg und Bischof von Halberstadt. 1798 entführte der Landkomtur Grothe das Bild nach Lucklum. Ob es dort noch in einem Magazin liegt, war nicht zu ermitteln.
Wenn Sie vor dem Betreten des Kommendehofes den Torbogen betrachtet haben, konnten Sie oben rechts und links die Öffnungen für die Seile oder Ketten sehen, mit denen einst die eisenbeschlagene Zugbrücke bewegt wurde. In der Mitte konnten Sie das Ordenskreuz und die Jahreszahl 1536 erkennen. Der große Eckstein einer Scheunenwand rechts vom Tor wird Ihnen kaum aufgefallen sein. auf ihm ist zu lesen (rechts ergänzt):Burkhardt v.
Pappenheim war bis 1528 Komtur in Langeln bei Wernigerode. 1528
wurde er zum Statthalter der Ballei Sachsen ernannt, 1529 als
Landkomtur konfirmiert, 1542 wechselte er die Konfession und wurde
evangelisch, 1551 wurde er in Lucklum beigesetzt. Er war in
schweren Zeiten Landkomtur unter zwei Hoch- und
Deutschmeistern.
Zuerst unter Walther v. Cronberg. Der begann seine Karriere 1518
als Komtur in Horneck, wurde nach dem abfall des Ordenslandes
Preußen und nach dem Bauernkrieg, der die Ordenshäuser - auch
Langeln bei Wernigerode - stark in Mitleidenschaft gezogen hatte,
vom Generalkapitel des DO zum Deutschmeister gewählt. 1530 wurde er
"administrator" des Hochmeisteramtes - mit fiktivem anspruch auf
Preußen, aber realem Rang unter den Reichsfürsten.
1543 wurde Wolfgang Schutzbar, genannt Milchling, der Hoch- und
Deutschmeister des Ordens. 1525 war er Komtur in Griefstedt, Ballei
Thüringen, 1529 wurde er Landkomtur der Ballei Hessen, 1543 Hoch-
und Deutschmeister. Er starb 1561. Mit 1500 Spießern zu Fuß und zu
Pferde nahm er am Feldzug Kaiser Karls V. gegen den
Schmalkaldischen Bund teil - nach der Schlacht bei Mühlberg an der
Elbe 1547 kam er im Juni mit dem Kaiser nach Halle und war dann in
Naumburg.
Die beiden steinernen Zeugen deuten darauf hin, dass Pappenheim
Bergens Verteidigungsanlagen ausbauen ließ. Er tat das wohl mit dem
Blick auf die auseinandersetzungen zwischen protestantischen und
katholischen Mächten - in dieser Gegend vor allem zwischen Heinrich
dem Jüngeren von Braunschweig und dem Magdeburger Domkapitel auf
katholischer Seite und den reformierten Städten Magdeburg und
Braunschweig auf protestantischer.
Trotz Graben, hohen Scheunen, Mauer und Falltor wurde Bergen
mehrfach überfallen und geplündert, es wurde nicht mehr von einem
Komtur verwaltet, verlor den Status eine Kommende und wurde um 1550
als Vorwerk der Kommende Lucklum
verpachtet.
Einen
Aufschwung erlebte Bergen erst wieder, als 1572 der Ritterbruder
und Hauptmann des Magdeburger Domkapitels im amt Egeln Johann von
Lossow zum Verwalter der Ballei Sachsen ernannt wurde. Von den
Bauten, die er errichten ließ, und den Kunstwerken, die er in
Auftrag gab, blieb manches erhalten.
Sie konnten über dem Eingang der Kirche außen das Ordenskreus und
über einem kleinen Fenster daneben die Jahreszahl 1573 sehen. Das
sind Hinweise darauf, dass der geistliche Herr Landkomtur seine
Bautätigkeit mit der Erhaltung und dem Umbau der Kirche begann.
am tragenden Gebälk der Prieche sehen wir die Jahreszahl 1576. Die Wiederherstellung
der Kirche erfolgte also logischer Weise von außen nach innen.
Hinter der Brüstung der Prieche befindet sich der Zugang vom
Wohngebäude des Komturs. Den ließ vermutlich LOSSOW durchbrechen.
1697 schrieb Pastor Müller:
auf die alte Prieche geht der Komtur mit seinen Dienern. Der
Stuhl des Komturs ist mit Brettern und einer Tür abgeteilt, woran
sich Schloss und Klinken befinden. Dieser Stand ist mit
scharlachroten Gardinen geziert und inwändig mit rotbuntem Drillich
verkleidet.
An die
Prieche ist das uralte Wappen derer v. Bernstein/Bärenstein
gemalt.
Der Landkomtur Hans Abraham v. Beerenstein [Bernstein] wurde 1686
der Komtur zu Bergen. Er nahm sich des Ordenshauses und der
baufälligen Gebäude an, besonders der wüsten und täglich vom
Einsturz bedrohten Kirche. Die alte Kirchendecke aus Brettern
war ein Behältnüß des Ungeziefers, der Mäuse und Ratzen
geworden.
ante altare in choro ad cornu epistolae - vor dem
Altar Chor in der
Epistelecke8) .
ANNO 1595. DEN 14TEN JUNIJ IST IN GOTT SELIGLICH ENTSCHLAFFEN DER
EHRENVESTE UND WOHLGERECHTE ERNST SCHULENBURG, JACOB VON DER
SCHULENBURG DES OBERSTEN SOHN, DEM GOTT EIN FRIEDLICHE AUFERSTEHUNG
VERLEIHEN WOLLE. AMEN.
Die Ursache seines Ablebens bleibt verborgen. "Sanft entschlafen"
schließt wohl den Heldentod im Heidenkampf aus. Der Vater Jakob von
der Schulenburg war im Schmalkaldischen Krieg ein Obrist im Heer
Kaiser Karls V. Möglicherweise fand der Ritter sein Grab unter dem
Boden der Kirche.
Zum zweiten
Standbild erfahren wir: ante altarie -
hinter dem Altar
ANNO 1597. DEN 17TEN JAN. IST IN GOTT ENTSCHLAFFEN ... JACOB VON
HITZENPLITZ CONRAD VON HITZENPLITZ SOHN, DEM GOTT EINE FRÖLIGE
AUFERSTEHUNG ... WOLLE. AMEN. AETATIS SVAE 26 - seines Alters
26
Der Jakob von Itzenblitz wurde schon 1591 als junger Mann im
Dienste des Landkomturs erwähnt - er bereitete sich wohl auf die
Einkleidung als Ritterbruder vor. Auch hier kein Hinweise auf die
Todesursache - Unfall, Krankheit, Krieg?
Der
Leichstein des Ritters Britzke stand vermutlich schon 1697 dort, wo
wir ihn heute sehen, nämlich an der Seite des Altars ad cornu evangelii - in der
Evangelienecke:
ANNO 1546 DEN DIENSTAG NACH TRINITATIS IST HERR HENNING VON
BRIETZKE GEBOREN ANNO 1576. DEN 17TEN DECEMBER ZU LUCKLUM
EINGEKLEIDET. ANNO 1606 DEN 17TEN MARTII ZUM LANDCOMMRATH
CONFIRMIRET WORDEN. ANNO 1611 DEN 10TEN NOV. 6 UHR ABENDS IST DER
HOCHWÜRDIGE EDLE UND EHRENVESTE HERR HENNING VON BRITZKEN DER
BALLEY SACHSEN LANDTCOMTHER AUF LUCKLUM UND BERGE IN CHRISTO SEHLIG
EINGESCHLAFEN. AETAS: SUAE 11. TIM. 4. ICH HAB EINEN GUTEN KAMPF
GEKÄMPFT etc.
Bei Britzke kennen wir die Todesursache: er floh vor der Pest aus
Lucklum auf den Hof seiner Väter in Bensdorf nahe Brandenburg und
starb dort - an der Pest. Er wurde in Bensdorf
beigesetzt.
Wenn Sie die Wappentafeln mit den acht adligen Vorfahren Britzkes genauer betrachten, sehen sie unten eine Katze mit der Maus im Maul - das Wappen der Familie v. Katte, im Elbe-Saale-Winkel des Jerichower Landes weit verbreitet. Die Katte mit de Muus int Muul ist auch auf dem Leichstein des Ritters Jakob v.Itzenblitz zu erkennen. Sie befand sich auch auf dem Leichstein des Ritters Lossow, ist aber seit langem verwittert. Die Katzen auf drei von vier Leichsteinen - von denen der vierte keine Wappen hat - sind ein Indiz für Vetternwirtschaft in der Ballei Sachsen unter ihrem Landkomtur Lossow. Die Katten hatten ihre Leute auch im Johanniterorden in der Kurmark Brandenburg. Sie werden einen Deutschordensritter v.Katte in der Rittergalerie in Lucklum finden, und in Wust würde man Sie auf einen Johanniter-Katte aufmerksam machen.
Für mich war
und bleibt der Leichstein rechts vom Altar am interessantesten.
Pastor Müller beschrieb ihn so:
In dem Beichtstuhl ad Cornu epistola:
ANNO DNI. 1605. DEN 26TEN MARTII OBIIT REVERENDUS, NOBILIS ET
STRENUUS VIR. D. JOH. DE LOSSAU BALLIO. SAXON. COMMENDATOR
GENERALIS CUIJUS ANIMA REQUIESCAT
Was wurde
aus einem Sarg, den Lossow für sich anfertigen ließ? Domprediger
Hahn berichtete:
Der Verstorbene hat sich bereits vor zwei Jahren seinen Sarg
machen lassen und zu Bergen auf dem Komturhof in die Kirche
gesetzt, wo er ihn vor augen hatte, so oft er zur Predigt gekommen
ist.
Der steinerne Sargdeckel in der Kirche verleitet zu der annahme,
auch Lossow habe einen Steinsarg anfertigen lassen. Irrtum! Im
"Deutschen Wörterbuch" der Brüder Grimm werden die verschiedenen
Bedeutungen des Wortes SaRG aufgezählt, darunter auch:
grabplatte, grabstein, oft mit inschrift. Sie sehen also
hier in der Kapelle den "Sarg", den Lossow in den letzten beiden
Jahren seines Lebens vor augen hatte, wenn er am Gottesdienst
teilnahm.
Man darf Ähnlichkeit der Figur auf dem Stein annehmen, weil er noch
zu Lebzeiten Lossows angefertigt wurde. Dass der Verstorbene auf
dem Stein jünger aussieht, als er mit seinen 80 Jahren war, kann
der Freiheit des Künstlers und der Eitelkeit des Modells geschuldet
sein. Vielleicht hatte er sich aber auch so gut gehalten. Für seine
Eitelkeit spricht, dass wir sein Bild in Stein noch zwei oder drei
mal sehen können: die schnurrbärtigen Köpfe mit dem Spanischen
Kragen an der außenwand des "Neuen Hauses" und im Komtursaal; er
hat sich auch malen lassen und er hatte eine goldene Kette mit
seinem Porträt. Die Körpermaße dürften stimmen: die Figur ist etwa
1,75 Meter hoch - für die damalige Zeit war Lossow auch körperlich
ein großer Mann. Er ließ sich als Krieger darstellen - geharnischt,
mit dem Schwert gegürtet, den Streithammer erhoben. Der war nicht
nur eine gefürchtete Waffe im Reiterkampf, er war auch das Zeichen
des Reiterführers, ähnlich einem Marschallstab. auch der Kurfürst
Moritz v. Sachsen (1521-1553) ist auf einigen Gemälden mit einem
Streithammer dargestellt.
Im Testament
hatte Lossow verfügt, seine Nachlassverwalter sollten ihm ein
ehrlich Epitaphium anfertigen lassen - "ehrlich" bedeutet hier
der Ehre, dem Stand des Verstorbenen angemessen.
Die Testamentare schlossen einen Vertrag mit dem damals
angesehensten Magdeburger Bildhauer Sebastian Ertle und verfügten,
dass Lossows Altar-Epitaph nach dem Vorbild des Epitaphs geschaffen
werden sollte, das Ertle für Melchior v. Arnstedt, den Hauptmann
von Jerichow, in Arbeit hatte. Arnstedts Denkmal steht noch gut
erhalten in der Jerichower Stadtkirche.
Der Rotgießer Tobias Ulrich sollte unter Ertles künstlerischer
Leitung Lossows Grabplatte gießen. Diese Platte gleicht bis in die
Details dem Stein in Bergen. Daraus lässt sich schließen, dass
Ertle die Steinplatte schuf und Lossow ihm Modell saß. Von dem
beeindruckenden Grabmal im Dom ließ im Januar 1945 eine
demokratische Luftmine nur Bruchstücke übrig, die nun im Dom und im
Kreuzgang herumliegen.
Welche
Bedeutung haben die vier Wappen in den Ecken des Leichensteins?
Es sind die Wappen der acht adligen Ahnen, die jeder Ritterbruder
vor seiner Aufnahme in den Orden nachweisen musste. auf Lossows
Stein sind nur noch die oberen Wappen zu erkennen. Rechts der
aufspringende Luchs = Loss, das Lossow-Wappen des Vaters, des
Großvaters und des Urgroßvaters aus altenklitsche (1 Wappen = 3
Ahnen), links das Schild im Schild, das Randow-Wappen des Vaters
und des Großvaters der Mutter aus Zabakuck (1 Wappen = 2 Ahnen).
Links unten befand sich das Osterholz-Wappen des Vaters und des
Großvaters der Großmutter väterlicherseits (1 Wappen = 2 Ahnen) und
rechts die Katze mit der Maus im Maul, das Katte-Wappen des
Großvaters der Großmutter mütterlicherseits aus Neuenklitsche oder
Wust (1 Wappen = 1 Ahne).
Lossow ließ sich in kriegerischer Pose verewigen - ist er
tatsächlich in Kriege gezogen? Nachweislich belagerte er 1550/51
unter dem Kurfürsten Moritz v. Sachsen im aufgebot der Domherren
die Stadt Magdeburg und entging nur knapp dem Schicksal seiner
Mitkämpfer, die bei einem nächtlichen Überfall von den Magdeburgern
erschlagen oder gefangen genommen wurden. Damals war er noch kein
Ritterbruder, aber bei der aufnahme wurde ihm der Kampf gegen die
protestantischen Ketzer vermutlich als Kampf gegen Ungläubige
angerechnet.
Danach nahm er an den Feldzügen des Kurfürsten Moritz gegen den
Kaiser und gegen den Markgrafen Albrecht v. Brandenburg-Kulmbach
teil, vielleicht auch am Feldzug des Kurfürsten nach Ungarn.
Höchstwahrscheinlich - denn es wird in der Leichpredigt erwähnt -
zog er als Ordensritter 1566 in den Kampf gegen die Türken nach
Ungarn. Zur Erinnerung daran trugen zwei traurige Türkenkrieger die
Platte seines Altarepitaphs.
Der Kampf gegen die Ungläubigen blieb eine Hauptaufgabe der Ordensritter, auch nachdem der Ordensstaat Preußen aufgehoben worden war. Jeder Ritterbruder sollte drei Jahre beim Grenzschutz in Ungarn dienen oder ersatzweise an Auslandseinsätzen teilnehmen. So waren Ackerbau und Viehzucht in Bergen und den anderen Kommenden nur scheinbar friedliche Tätigkeiten. Tatsächlich war der Orden eine armee von Glaubenskriegern mit Versorgungseinrichtungen im Hinterland - ein Vorbild für das Königreich Preußen, nach Mirabeau nicht ein Staat mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Staat.
Der Turm war
und ist kein Kirchturm, sondern der Überbau des Erkers eines Wohn-
und Geschäftsraums, in dem zwei Köpfe als Konsolfiguren zu finden
sind - zweimal Lossow oder Lossow und Britzke. Eine Besonderheit
des Turms: er wurde aus Steinen errichtet, ist aber wie ein
Fachwerkbau verputzt.
Inschriften an Gebäuden legen heute noch Zeugnis ab von der
intensiven Bautätigkeit Lossowa von seiner Einsetzung als
Balleistatthalter 1572 bis 1601, als Britzke vom Hoch- und
Deutschmeister Maximilian als sein Koadjutor eingesetzt
wurde.
Britzke war
Komtur in Lucklum und Buro - die Kommende Buro ließ er von einem
Hauskomtur verwalten. In Lucklum hat er gebaut. an einer Scheune
ist an der Hofseite sein Wappen und eine Inschrift
angebracht:
Jerdingsdorf: 39365 Gehringsdorf, Teil der Gemeinde Wormsdorf (zwischen Ummendorf und Eggenstedt nordwestlich von Seehausen). Auch Gerdegestorp (1118, 1197), Gerdekestorp (1138), Jerdigestorp (1225), Jerdekesthorp (1238), Jerdagestorp (c.1240), Jerdegesdorf (1271), Gerdekesdorp (1296), Jerdingesdorp (1310)... Jeringsdorff (1683). [Gustav Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau. Halle 1899. S.131ff.] 1884 hieß der Ort Göhringsdorf, so auch im o.g. Wüstungsverzeichnis [Verzeichnis sämmtlicher Ortschaften der Provinz Sachsen. Halle/Saale 31884. S.38f. [Zurück]
Kreuzigungsgruppe: Bergen. An der Nordseite, beidseitig des Eingangs, 2 Steinfiguren, die weibliche betend mit Krone und Zöpfen, die männliche sitzend mit Buch, wohl Maria und Christus (Rest einer Deesis? [Deesis: Darstellung des thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer, die zu seinen Seiten fürbittend stehen; in der abendländischen Kunst seit dem 10./11. Jahrhundert. PC-Brockhaus AG 2004]). Die unbeholfene Ausführung erschwert die stilistische Einordnung, vielleicht 2.H. 12.Jh. [Dehio. Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Der Bezirk Magdeburg. Berlin 1974. S.35] [Zurück]
Dahnsdorf: Dorf-Ki. Anfang 13. Jh. Das Turmuntergeschoss ursprünglich mit großem Rundbogen zum flachgedeckten Schiff geöffnet. 2 spätgotische Schnitzfiguren 2.H.15.Jh., Maria und Johannes einer Kreuzigungsgruppe. [Dehio. Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bezirke Berlin/DDR und Potsdam. Akademie-Verlag. Berlin 1983. S.184] [Zurück]
Eroberung und Besetzung Preußens: Uwe Ziegler: Kreuz und Schwert. Die Geschichte des Deutschen Ordens. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien. 2003. S.65. [Zurück]
Schenkung: 1272. Walther, Burchardt und Albert, Edle v. Barby, haben dem Meister und den Brüdern des DO das Dorf Bergen bei Rodensleben mit allen Rechten, Gerechtsamen (Vogtei, Kirchenpatronat) und Zubehör, ausgenommen den Zehnten und das Zehntrecht, verkauft. [George Adalbert v. Mülverstedt: RAM III. S.31. [Zurück]
1377: Im Frühjahr 1377 unternahm der Orden eine Heerfahrt unter Herzog Albrecht III. v. Österreich und dem Hochmeister Winrich v. Kniprode gegen die Litauer, eine "Litauerreise". [Zurück]
Chor: zunächst der für die Sänger bestimmte Raum vor dem Altar, dann der den Geistlichen vorbehaltene, das Hauptschiff in der Regel im Osten abschließende Teil des Kirchenraumes mit dem Altar. [Zurück]
Epistelseite: in Blickrichtung Altar die rechte Seite einer katholischen Kirche, bei geosteten Kirchen die Südseite, volkstümlich auch "Männerseite" genannt, weil die Männer früher ausschließlich auf der Epistel Platz nahmen. Die gegenüberliegende Evangelienseite heißt auch "Frauenseite". [Zurück]
Mirabeau: Honoré Gabriel Riquet, Graf von Mirabeau (1749-1791): Nach einer geheimen Mission in Berlin 1786/87 schrieb er Über die Preußische Monarchie unter Friedrich dem Großen (1788; mit J. Mauvillon) und Geheime Geschichte des Berliner Hofes (1789). [Zurück]