Ernst Herbsts gesammelte Urkunden, Regesten, Texte, Vorträge und Erzählungen
zur

Geschichte der Deutschordensritter in ihrer Ballei Sachsen

Vortrag:
Vom Söldner zum Kunstfreund und Balleiverwalter
Bergen und sein Landkomtur Johann von Lossow

Inhalt
  • 1. Die Kapelle - ein Ort der Erinnerung
  • 2. Lossows "Sarg"
  • 3. Die Spur der Steine
  • * * * * *

    1. Die Kapelle - ein Ort der Erinnerung

    Die Kapelle war Jahrhunderte lang der Mittelpunkt des Deutschordens-Hauses (der Kommende oder Komturei) Bergen001
    . Schon vor mehr als 700 Jahren blickten die Ordensbrüder und ihre Leute auf die beiden Figuren, die wir über dem Ausgang sehen. Die einen Kunsthistoriker erblicken Maria und Christus ohne Johannes, die anderen erkennen Maria und Johannes ohne Christus. 002
    (In der Kommendekapelle Dahnsdorf gibt es eine ähnliche, aber wesentlich jüngere Gruppe aus Holz. Da ist man sich einig: die Figuren stellen Maria und Johannes dar. Aber auch dort wird vermutet, eine dritte Figur sei irgendwann abhanden gekommen. 003 )

    Maria war die Schutzheilige des Deutschen Ordens und der Kommende Bergen. In einem der vielen Namen des Ordens wird sie genannt: Orden der Brüder vom Deutschen Haus (oder Hospital) der Heiligen Maria in Jerusalem. Andere Namen sind Deutscher Orden, Deutschherrenorden, Kreuzritterorden (aber das waren die Johanniter und Templer auch), Deutschritterorden, Deutscher Ritterorden. Wegen des auffälligen weißen Mantels mit dem schwarzen Kreuz, den die Ritterbrüder trugen und in dem sie beerdigt wurden, hießen sie auch Mantelherren.

    Wenn Sie vor dem Kommende-Hof den Torbogen betrachtet haben, konnten Sie oben rechts und links die Öffnungen für die Seile sehen, mit denen einst die Zugbrücke bewegt wurde. In der Mitte konnten Sie das Ordenskreuz und die Jahreszahl 1536 erkennen. Das Kreuz sehen wir auch über der Kanzel am Gestell der Sanduhr. Es wird Ihnen bekannt vorkommen. Dieses schwarze Kreuz mit den sich nach innen verjüngenden Balken war und ist heute noch das Zeichen, unter dem deutsche Krieger gegen die Ungläubigen in den Kampf ziehen - seit Papst Innozenz III. im Jahre 1199 den Orden mit dem Heidenkampf beauftragte.

    Der Orden erwarb das Dorf Bergen erst im Jahre 1272, als alle andere Kommenden der Ordensprovinz (oder Ballei) Sachsen schon existierten - mit Ausnahme der Kommende Göttingen. Unter dem Hochmeister Hermann von Salza aus Thüringen, einem Partner des Staufer-Kaisers Friedrich I. und des Landgrafen Hermann von Thüringen, hatte der Deutsche Orden seine Siedlungen in Palästina geräumt, er hatte von 1211 bis 1225 eine Staatsgründung im Burzenland versucht und nach seiner Vertreibung aus Siebenbürgen mit der Missionierung, Zivilisierung und Kultivierung der Pruzzen begonnen. 004
    Seitdem war der Weg zur Heidenfront von den Kommenden im ehemaligen Sachsen und in Thüringen kürzer geworden. Dadurch war ihre Bedeutung als Nachschubbasen für das Ordensland und als Stationen für die Lieferungen aus den Kommenden der südlichen Balleien merklich gestiegen. Das wurde auch der katholischen Kirche bewusst. 1277 beschlossen in Wien der Erzbischof von Salzburg und sieben Bischöfe, einen Ablass von 40 Tagen allen zu geben, welche die Kirchen der Deutsch-Ordensbrüder in Bergen und in Halle am Tage der Kirchweih besuchen. 005
    Das verschaffte beiden Kommenden eine reichlich sprudelnde Einnahmequelle. Warum Bergen den Zuschlag erhielt und nicht die viel ältere Kommende Langeln bei Wernigerode oder die künftige Landkomturei Lucklum bei Braunschweig? Wahrscheinlich stand der Erzbischof von Magdeburg, auf dessen Territorium Bergen lag, den Päpsten näher als die Herzöge von Braunschweig oder die Herren von Wernigerode. Aber schon zehn Jahre später, 28.09.1287, erteilte der Bischof Volrad von Halberstadt auch allen, welche die Deutschordenskirche zu Langeln besuchten, einen vierzigtägigen Ablass.
    Mit etwas Phantasie kann man sich das bunte und lärmende Gewimmel von bußfertigen Sünderinnen und Sündern vorstellen, die aus Magdeburg, Braunschweig, Halberstadt und den kleineren Städten und Dörfern der Umgebung zur Kirchweih nach Bergen kamen. Erleichtert von alten und bereit zu neuen Sünden zogen sie nach Hause, während der Schatzmeister der Kommende die gespendeten Pfennige und Gulden zählte und in der mit drei Schlössern gesicherten eisenbeschlagenen Truhe versenkte. Eine kleine und eine sehr große Truhe der Ordensritter kann man in der Kirche in Langeln besichtigen.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kirche in Bergen damals so klein war wie heute und dass sie keinen Kirchturm als Wegweiser für die Pilger hatte. Vielleicht hatte Pastor Georg Müller006
    Recht, als er 1697 in das Kirchbuch Berg schrieb:
    Wie der Augenschein ausweist, ist das Kirchlein auf dem Ordenshause Bergen früher bis an den Glockenturm gangen. 1573 wurde es, wie an dem kleinen Kirchenfenster auswendig zu sehen ist, durch eine Wand in der Mitten abgewirkt und kaum die Hälfte zur Kirche genommen, außer den Mauren neu aufgebaut und in Fach gebracht, auch die beiden Böden eingelegt, aus- und inwendig mit Kalk beworfen und übertüncht oder ausgemeißelt.
    Freilich irrte er, als er den "Glockenturm" für den Kirchturm hielt - hierzulande stand der Kirchturm schon immer an der Westseite der Kirche, weil man meinte, damit könne man die bösen Geister abwehren, die gewöhnlich aus dem Westen kamen.
    Liest man die Deutschordens-Statuten von 1606, muss man den Eindruck gewinnen, die Ordensbrüder hätten ihre Zeit ausschließlich mit Beten und Kämpfen verbracht. Kinder zu zeugen und aufzuziehen stand nicht auf dem Programm, denn das Gebot der Keuschheit war neben den Geboten der Armut und des Gehorsams gegenüber Gott und den Ordensoberen eine tragende Säule des Ordens.
    Die Kommende Bergen macht nicht gerade den Eindruck einer Festung - so wenig wie die anderen Kommenden der Ballei Sachsen, mit Ausnahme vielleichzt von Lucklum.
    Nun weiß man aber nicht erst seit der Befreiung des Irak durch die Koalition der Willigen: Besatzer werden ist nicht schwer, Besatzer sein dagegen sehr. Besetzung und Besatzung erfordern den Nachschub von Kämpfern und Kriegsmaterial - besonders dann, wenn eine unchristliche Bevölkerung die Segnungen der Befreiung nicht zu schätzen weiß. Diese Erfahrung machten die Kreuzritter aller drei Orden zuerst im Heiligen Land, noch heute das Objekt der Begierde nicht nur seiner Nachbarn. Die Deutschordensritter erfuhren das im Burzenland und dann an der Ostfront im Pruzzenland. Sie brauchten ständig Nachschub aus ihrem Hinterland - ausgebildete Kämpfer, zugerittene Pferde für die schwer gepanzerten Ritter, Waffen und Munition, Nahrungsmittel, geistige Getränke und vor allem Geld.
    So verwundert es nicht, dass noch im 16. Jahrhundert die Werbung und Ausbildung junger Ritterbrüder, die Pferdezucht, der Anbau von Korn und die Eintreibung des Kornzehnts, der Weinanbau und eine Brauerei für Bergen nachzuweisen sind.
    Im Jahre 1507, als im Haus Bergen vier Ordensbrüder lebten - zwei davon waren Priester - zählte man zwölf Hengste, zwölf Stuten und 13 Falben - Ritterpferde. 1589 werden neben den Stuten und drei Kutschpferden 24 Traber- oder Reitpferde, sechs dreijährige, drei zweijährige, zwei einjährige und vier abgerichtete Füllen registriert.
    Für 1511 ist eine Geschäftsbeziehung Bergens zu den Ordensbrüdern in Preußen belegt. Der Komtur von Bergen Adam von Halle hatte in Königsberg einen Streit mit einem Ordensbruder um 155 Mark, die Adam zur Bezahlung von Leistungen einforderte. Die Ordensbrüder in Bergen hatten damals einen besseren Ruf als die Brüder in Halle: das Deutschordensvorwerk zur heiligen Kunigunde in Halle wurde nämlich 1511 abgebrochen, um viel Unfug und Unzucht zu vermeiden.007 Der Rat zu Halle und das Kloster Neuwerk hatten das Gelände für den Abriss erworben, weil dort Schänken und unzüchtige Frauenspersonen gehalten wurden.
    Im Jahre 1507 hielten die Ordensbrüder ihr Balleikapitel in Bergen, sie entließen damals Konrad von Uttenrode in allen Ehren aus der Verantwortung für die Ballei Sachsen - er war bis dahin Landkomtur der mal wieder vereinigt gewesenen Balleien Thüringen und Sachsen - und wählten Martin Töpfer als Kandidaten für das Amt ihres Landkomturs.

    Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts ging es mit Bergen auf und ab. In den Auseinandersetzungen der Reformationszeit zwischen dem Schmalkaldischen Bund und Kaiser Karl V. gab es immer wieder Versuche der protestantischen Landesfürsten, die Kommenden des Deutschen Ordens so unter ihre Kontrolle zu bringen, wie sie es bei den meisten Klöstern schafften. Die Bürger der Altenstadt Magdeburg haben um das Jahr 1550 das Amt Dreileben und die Kommende Bergen wiederholt überfallen und geplündert. Da hatte Bergen den Status einer Kommende schon verloren. Der Orden benötigte für eine Kommende wenigsten einen Ordensbruder als Komtur, und der war jahrelang nicht zu finden. Der Hof in Bergen wurde verpachtet, später als Vorwerk der Kommende Lucklum verwaltet.

    2. Lossows "Sarg"

    Die zweite Blütezeit Bergens nach ihren Gründerjahren im 13. Jahrhundert begann mit einem Mann, der vor 400 Jahren starb. Sein Bild in Stein sehen wir an der rechten Seite neben dem Altar - an der Epistel- oder Männerseite der Kirche. Wer Phantasie besitzt, sollte sich die Rüstung und Helm silbern, die Griffe von Schwert und Streithammer vergoldet vorstellen. Ob der Ritter schwarzhaarig oder blond war, ist nicht überliefert.

    Der Stein gibt Fragen auf.

    1. Wer war "Johann de"? Da gibt es keinen Zweifel: das war Johann von Lossow oder Lossau.

    2. Deckte der Leichenstein das Grab Lossows - wurde der Leichnam des Landkomturs in dieser Kirche beigesetzt? Man sollte es annehmen. Aber in der Leichpredigt, die der Domprediger Philipp Hahn am 10. April 1605 im Magdeburger Dom für den Verstorbenen hielt, hat er ausdrücklich gesagt und geschrieben, dass Lossow in der Domkirchen christlicher Weise begraben wurde.

    3. Warum dann ein Leichenstein in Bergen? Der Landkomtur hatte 1594 sein Testament in aller Form verfasst und hatte darin ausdrücklich verfügt, sein Leichnam solle nicht über Land gekarrt werden. Es wollte dort begraben sein, wo er sterben würde. Dafür kamen in Frage seine Kommende Bergen, die Landkomturei Lucklum und sein Haus in Magdeburg. (Das hatte er 1584, im Alter von 61 Jahren, für 50 Jahre gepachtet und in Stand gesetzt.)
    Es liegt auf der Hand, warum die Domherren die Begräbnis-Zeremonie in Magdeburg veranstalteten: die Beisetzung eines großen Herrn war ein gesellschaftliches Ereignis, das Arbeitsplätze schaffte und das Geld im Kasten klingen ließ.
    Gab es in Magdeburg eine Schein-Beerdigung? Oder wurde Lossows Herz in Magdeburg und der Körper in Bergen bestattet? Umgekehrt verfuhr man 1553 mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen, nachdem er an einer Verwundung in der Schlacht bei Sievershausen gestorben war. Das Herz blieb in Sievershausen, der Leichnam wurde nach Freiberg in Sachsen überführt. Aber bei Lossow ist die Antwort weniger spektakulär. Die Ordensregeln schrieben vor, verstorbenen Rittern auch dann ein Grabmal in der Kapelle ihrer Kommende zu errichten, wenn sie anderswo starben und bestattet wurden. Auch der Leichenstein des Lossow-Nachfolgers Henning von Britzke an der Evangelien- oder Frauenseite der Kirche hat nie ein Grab bedeckt. 1611 floh Britzke vor der Pest in seinen Heimatort Bensdorf, er starb dort und erhielt auch dort ein Grabmal.

    4. Wo und wann starb Lossow? Das Datum finden wir auf dem Leichenstein, den Ort in der Leichpredigt. Er starb in Bergen am 26. März in der Woche vor Ostern, der Marter- oder Passionswoche, als er nicht allein alt und des Lebens satt geworden ist, sondern das Gesicht ihm abgelegt und die Kräfte schon schwächer geworden sind. Er starb aber auch zehn Tage später am 5. April: hierzulande hatte man sich protestantisch-konservativ noch nicht mit der Kalenderreform des Papstes Gregor befreundet und zählte die Tage nach dem Kalender des Julius Cäsar.

    5. Warum und wie wurde die Leiche so lange aufbewahrt? Auch darauf geben die Ordensstatuten eine Antwort. Zum Begräbnis eines Landkomturs wurden die Ordensbrüder und die Landesherren eingeladen. Das brauchte seine Zeit. So wurde Lossows Leichnam nach dem Ableben zunächst 24 Stunden lang aufgebahrt - wahrscheinlich in dieser Kapelle. Er lag in seinem weißen Ordensgewand auf einem schwarzen wollenen Tuch, auf der Brust seine güldene Kette mit dem Konterfei und dem goldenen Ordenskreuz des Landkomturs, zu Füßen die vergoldeten Sporen und an der Seite das vergoldete Schwert. Danach wurde er einbalsamiert und in einen hölzernen Sarg gelegt. Wir wissen nicht, ob der Leichnam gleich danach in aller Stille nach Magdeburg überführt wurde oder ob er bis zu einer feierlichen Überführung in einem Zimmer in Bergen stand, bedeckt mit einem weißen Wolltuch, darauf Schwert und Sporen, dazu Kerzen, Weihwasser und was sonst in dergleichen Fällen gebührt.

    6. Was wurde aus dem Sarg, den Lossow zwei Jahre vor seinem Tode für sich anfertigen ließ? Domprediger Hahn berichtet:
    Der Verstorbene hat sich bereits vor zwei Jahren seinen Sarg machen lassen und zu Bergen auf dem Komturhof in die Kirche gesetzt, wo er ihn vor Augen hatte, so oft er zur Predigt gekommen ist.
    Ein steinerner Sargdeckel in der Kirche verleitet zu der Annahme, auch Lossow habe einen steinernen Sarg anfertigen lassen. Irrtum! Im "Deutschen Wörterbuch" der Brüder Grimm werden die verschiedenen Bedeutungen des Wortes sarg aufgezählt, darunter auch: grabplatte, grabstein, oft mit inschrift.
    Sie sehen also hier in der Kapelle den "Sarg", den Lossow in den letzten beiden Jahren seines Lebens vor Augen hatte, wenn er am Gottesdienst teilnahm.

    7. Ist die Figur Lossows auf dem "Sarg", dem Leichenstein, lebensecht oder vom Bildhauer frei gestaltet? Da wir nun wissen, dass der Stein noch zu Lebzeiten Lossows gefertigt wurde, darf man Ähnlichkeit annehmen.
    Dass Lossow auf dem Stein jünger aussieht, als er mit seinen 80 Jahren war, ist wohl der Freiheit des Künstlers und der Eitelkeit des Modells geschuldet. (Wir können sein Bild in Stein noch drei mal sehen: die schnurrbärtigen Köpfe mit dem "Spanischen Kragen" an der Außenwand des Rauchhauses und im Komtursaal; er hat sich malen lassen und er hatte eine goldene Kette mit sseinem Bild.) Die Körpermaße dürften stimmen: die Figur ist etwa 1,75 Meter hoch - für die damalige Zeit war Lossow ein körperlich großer Mann.
    Lossow ließ sich als Krieger darstellen - geharnischt, mit dem Schwert gegürtet, den Streithammer erhoben. Das war nicht nur eine gefürchtete Waffe im Reiterkampf, er war auch das Zeichen des Reiterführers, ähnlich einem Marschallstab. Auch der Kurfürst Moritz von Sachsen ist auf einigen Gemälden mit dem Streithammer dargestellt.
    Im Testament hatte Lossow verfügt, seine Nachlassverwalter sollten ihm ein ehrlich Epitaphium anfertigen lassen - "ehrlich" bedeutet hier der Ehre, dem Stand des Verstorbenen angemessen. Die Testamentare schlossen einen Vertrag mit dem damals angesehensten Magdeburger Bildhauer Sebastian Ertle und verfügten, dass Lossows Altar-Epitaph nach dem Vorbild des Epitaphs geschaffen werden sollte, das Ertle für Melchior von Arnstedt, den Hauptmann von Jerichow, in Arbeit hatte. Natürlich kniete Lossow als Single vor einem Kreuz, nicht wie Arnstedt mit Frau. Arnstedts Denkmal steht gut erhalten in der Jerichower Stadtkirche, zusammen mit Steinplatten für ihn und für seine Frau. Auf dem Leichenstein ist er im Harnisch mit dem erhobenen Streithammer zu sehen.
    Der Rotgießer Tobias Ulrich sollte unter Ertles künstlerischer Anleitung Lossows Grabplatte gießen.
    Das beeindruckende Grabmal wurde im Winter 1609-1610 im Magdeburger Dom aufgestellt und stand dort bis zum Januar 1945. Eine Luftmine ließ nur Bruchstücke übrig. Aber ein Bild der Grabplatte und die Beschreibung der Umschrift in Stein beweisen, dass die Steinplatte in Bergen das Modell für die Bronzeplatte war. Daraus lässt sich schließen, dass Ertle die Steinplatte schuf und Lossow ihm Modell saß. Ein Indiz dafür ist auch eine in der Gestaltung und Qualität ganz ähnliche Grabplatte für Lossows Bruder, die in Altenklitsche vor dem Altar liegt. Peter von Lossow starb 1603, im selben Jahr, in dem der Landkomtur seinen "Sarg" in Auftrag gab.

    8. Welche Bedeutung haben die vier Wappen in den Ecken des Leichensteins?
    Es sind die Wappen der acht adligen Ahnen, die jeder Ritterbruder vor seiner Aufnahme in den Orden nachweisen musste. Auf Lossows Stein sind nur noch die oberen Wappen zu erkennen. Rechts der aufspringende Luchs-Loss, das Lossow-Wappen des Vaters, des Großvaters und des Urgroßvaters aus Altenklitsche, links das Schild im Schild, das Randow-Wappen des Vaters und des Großvaters der Mutter aus Zabakuck. Links unten befand sich das Osterholz Wappen des Vaters und des Großvaters der Großmutter väterlicherseits und rechts die Katze mit der Maus im Maul, das Katte-Wappen des Großvaters der Großmutter mütterlicherseits aus Neuenklitsche oder Wust.
    Die Katte mit de Mus ist auch auf den Leichensteinen des Landkomturs Britzke und des mit 26 Jahren gestorbenen Ritters Jakob von Itzenplitz an der Südwand der Bergener Kirche zu erkennen.

    9. Lossow ließ sich in kriegerischer Pose verewigen- ist er tatsächlich in Kriege gezogen?
    Nachweislich belagerte Lossow 1550/51 unter dem Kurfürsten Moritz von Sachsen im Aufgebot der Domherren die Stadt Magdeburg und entging nur knapp dem Schicksal seiner Mitkämpfer, die bei einem nächtlichen Überfall von den Magdeburgern erschlagen oder gefangen genommen wurden. Damals war er noch kein Ritterbruder, aber vermutlich wurde ihm der Kampf gegen die protestantischen Ketzer bei der Aufnahme als Kampf gegen Ungläubige angerechnet.
    Danach nahm er an den Feldzügen des Kurfürsten Moritz von Sachsen gegen den Kaiser und gegen den Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Kulmbach teil, vielleicht auch am Feldzug des Kurfürsten nach Ungarn. Höchstwahrscheinlich - denn es wird in der Leichpredigt erwähnt - zog er 1566 als Ordensritter nach Ungarn in den Kampf gegen die Türken. Zur Erinnerung daran trugen zwei steinerne gebeugte Türkenkrieger die Platte seines Altarepitaphs.
    Der Kampf gegen die Ungläubigen blieb eine Hauptaufgabe der Ordensritter, auch nachdem der Ordensstaat Preußen aufgehoben und später komplett mitsamt seinen Symbolen und seiner Ideologie von Preußen übernommen worden war. Jeder Ritterbruder sollte drei Jahre beim Grenzschutz in Ungarn dienen oder ersatzweise an Feldzügen teilnehmen. So waren Ackerbau und Viehzucht in Bergen und den anderen Kommenden nur scheinbar friedliche Tätigkeiten. Tatsächlich war der Orden eine Organisation von Glaubenskriegern mit Versorgungseinrichtungen im Hinterland.

    3. Die Spur der Steine

    Was Lossow von anderen Landkomturen unterscheidet, ist seine Lust am Bauen. Möglich, dass der Streit um den Glauben bei Lossow Zweifel am wahren Weg zur Seligkeit und in die Unsterblichkeit weckte. Waren es die guten Werke, wie die katholische Kirche lehrte? War es allein der Glaube, wie die Lutheraner behaupteten? Lossow ging auf Nummer sicher: er setzte auf die Dauerhaftigkeit der Steine, ließ bauen und an den Gebäuden seinen Namen, an manchen seinen Kopf in Stein anbringen. Diese Spur lässt sich von Egeln über Wolmirsleben nach Bergen verfolgen. Inzwischen sind die Steine verwittert, einige sind verschwunden, andere haben ihren Platz gewechselt. Wenn man sich mit Lossows Leben und Taten befassen will, findet man in den Archiven sehr viel mehr Spuren als an Gebäuden - da gilt immer nach: Wer schrifft, der bliwwt.
    Lossow wurde erst im Alter von 35 Jahren in den Orden aufgenommen. Im selben Jahr 1558 wurde er vom Magdeburger Domkapitel als Hauptmann des Amtes Egeln eingesetzt. In der Wasserburg Egeln ließ er Gebäude renovieren und neu errichten, der Turm wurde aufgestockt und mit einer Schweifhaube versehen. Eine Schriftplatte an der so genannten Storchscheune mit dem Namen Lossows ist noch zu sehen, aber nicht mehr zu entziffern.
    Als Hauptmann hat er seine Freunde unter den Domherren veranlasst, ihm das Dorf Atzendorf zu übergeben, weil er die Dienste der Bauern für den Bau des Vorwerks Altena (an der Bode bei Wolmirsleben) brauchte. Schrifttafeln und die Wappen der Domherren und Lossows sind in Wolmirsleben noch zu finden.
    1572 wurde Lossow von seinen Ritterbrüdern in der Ballei gegen die Vorbehalte des Hoch- und Deutschmeisters zum Ballei-Verwalter gewählt und als Komtur der Landkomturei Lucklum und der Kommende Bergen eingesetzt. Sein ständiger Arbeitsort blieb zunächst Egeln - so sind zahlreiche Briefe an den Hoch- und Deutschmeister datiert. Zwei Gründe dürften Lossow veranlasst haben, Bergen als seinen künftigen Sitz auszubauen: geografisch die Entfernung zu den Kommenden Dahnsdorf, Buro und Dommitzsch im Osten der Ballei, politisch die gespannten Beziehungen zu den Herzögen von Braunschweig und den Grafen von Stolberg-Wernigerode und das freundschaftliche Verhältnis zu den Magdeburger Domherren.
    In Bergen ließ er zuerst die Kirche in Stand setzen und wohl auch umbauen. Wie erwähnt, ist am Fenster an der Außenwand die Jahreszahl 1573 zu sehen. Danach kümmerte er sich um die Innenausstattung. An der Empore lesen wir die Zahl 1576. Die Bildnisse Luthers und Melanchthons im Beichtstuhl stammen sicherlich aus dieser Zeit, vermutlich auch der Beichtstuhl, die Kabine für die Ordensritter und die Kanzel.
    Zu Beginn seiner Tätigkeit ließ er auch den Graben um die Komturei in Ordnung bringen - den Stoßergraben, wie er auf einer Zeichnung aus dem Jahre 1655 genannt wird. Der Name deutet auf die Verteidigungsfunktion hin.
    Ein neuer Graben zur Entwässerung eines verschlammten Teichs wurde zwischen Bergen und Remkersleben gezogen. Das trug dem Komtur einen jahrelangen Streit mit den Bauern von Remkersleben und ihrem Herrn von der Asseburg ein. Die Remkersleber Bauern fühlten sich in ihren Rechten verletzt, und als ihre anhaltenden Proteste nichts nützten, zogen sie bewaffnet mit Weib und Kind auf die umstrittene Wiese, ernteten das Gras ab und schütteten den Graben wieder zu. Lossow nahm 1579 zur Strafe zwei Remkersleber Rinder gefangen, daraufhin entführten die Bauern den Ritterbrüdern ein Pferd. Schließlich musste der Administrator des Erzstifts, der Landesfürst, höchstselbst eingreifen und eine Schiedskommission nach Bergen schicken.
    Wie schon in Egeln, hat Lossow auch in Bergen zunächst die vorhandenen Gebäude genutzt. Am Turm östlich der Kirche kann man entziffern:

    Mit.gottes.gvnst.hab.ich.dis.
    Havs.gebessert.vnd.gebavet.avs.
    Do.es.zuvor.durchavs.vorfallen.
    wie indes.noch.bewvst.ist.allen.
    die.tat.von.schelm.vnd.bose
    wicht.in bau unt Besserung.
    hats.vfgericht.h.hans.von.
    lossow.lantcommentor.1586

    Etwa gleichzeitig mit diesem Gebäude ließ Lossow sein Haus in Magdeburg in Stand setzen, das er 1584 erworben hatte.
    Das Türmchen an der Ostseite des Hauses - vermutlich der obere Teil mit der Laterne - wurde erst 1589 gebaut, wie aus einer alten Rechnung hervorgeht. Es wurde massiv in Stein errichtet, aber so verputzt und bemalt, dass man einen Fachwerkbau vermuten muss. Das untere Geschoss war wohl die Kanzlei des Landkomturs - mit Fenstern nach dem Tor, zum Hof und in den Garten einer Kommandobrücke vergleichbar. Man kann nur vermuten, dass die beiden bärtigen Köpfe am tragenden Querbalken vor dem abgeteilten Raum Lossow darstellen sollen - oder sind es die "Gemelde" Lossows und Britzkes, die in einem Protokoll aus dem Jahre 1632 genannt werden? Oder gehört einer der Köpfe dem damaligen Komtur zu Langeln und Anwärter auf das Amt des Landkomturs, Otto von Blanckenburg?
    1597 war das neue Gebäude westlich der Kirche fertig gestellt, und Lossows Wappen mit dem aufspringenden Luchs konnte angebracht werden. Durch eine Tür im Obergeschoss gelangte der Komtur auf die Empore/Prieche der Kapelle, ohne mit dem Gesinde in Berührung zu kommen. Ähnlich sind Kirche und Wohngebäude der ehemaligen Kommende Buro angelegt.
    Lossow ließ Kartuschen mit seinem Namen und einer Jahreszahl auch an Wirtschaftsgebäuden anbringen.
    Im Laufe der Jahrhunderte wurde weiter gebaut - Pastor Müller rühmte 1697 den Landkomtur von Bernstein, der die Kirche in Stand setzen ließ und sie reich beschenkte. Sein Wappen ist an der Empore zu sehen.
    1809 löste Napoleon den Deutschen Orden in Deutschland mit der Begründung auf, dass seine Mitglieder gegen die französischen Heere kämpften. Im 19. und 20. Jahrhundert trug das Gut Bergen dann zur Verbreitung des Rübenzuckers und der Karies über die ganze Welt bei.
    Die alten Wirtschaftsgebäude waren noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu sehen, dann wurden sie abgerissen - trotz der Einsprüche des damaligen Pastors Schumann und Bittbriefen anderer am Erhalt dieses Denkmals Interessierter an die Behörden. Die Wohngebäude verfielen, der Turm verlor sein Dach.
    Es ist der Familie Kremer zu danken, dass sie einen Teil der Gebäude in neuer Pracht wieder herstellen lässt und einer Nutzung zuführt, die wirtschaftlichen Ertrag mit Denkmalspflege verbindet.


    * * * * *


    Anmerkungen, Literatur- und Quellenhinweise

    001 1272. Walter, Burckhardt und albert/Albrecht von Barby verkaufen dem D.O. das Dorf Bergen bei Rodensleben mit seinen Zubehörungen, Advocationen und sonstigen Rechten, ausgenommen den Zehnt. Walther, Burchard und Albrecht, Edle von Barby, haben dem Meister und den Brüdern des D.O. das Dorf Bergen bei Rodensleben mit allen Rechten, Gerechtsamen (Vogtei, Kirchenpatronat) und Zubehör, ausgenommen den Zehnten und das Zehntrecht, verkauft. [RAM: George Adalbert von Mülverstedt: Regesta Achiepiscopatvs Magdebvrgensis. 3. Teil. Von 1270 bis 1305. Magdeburg 1886. 3 S.31] [Zurück]

    002 Bergen. An der Nordseite, beidseitig des Eingangs, 2 Steinfiguren, die weibliche betend mit Krone und Zöpfen, die männliche sitzend mit Buch, wohl Maria und Christus (Rest einer Deesis? [Deesis: Darstellung des thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer, die zu seinen Seiten fürbittend stehen; in der abendländischen Kunst seit dem 10./11. Jahrhundert. -PC-Brockhaus AG 2004]). Die unbeholfene Ausführung erschwert die stilistische Einordnung, vielleicht 2.H.12.Jh. [Dehio. Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Der Bezirk Magdeburg. Berlin 1974. S.35] [Zurück]

    003 Dahnsdorf Dorf-Kirche. Anfang 13. Jh. Das Turmuntergeschoss ursprünglich mit großem Rundbogen zum flachgedeckten Schiff geöffnet. 2 spätgotische Schnitzfiguren 2.H.15.Jh., Maria und Johannes einer Kreuzigungsgruppe. [Dehio. Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bezirke Berlin/DDR und Potsdam. Akademie-Verlag. Berlin 1983. S.184] [Zurück]

    004 1215-1250 Kaiser Friedrich II. (1194-1250), Kaiserkrönung 1220, 1228 Kreuzzug. Hermann von Salza aus Langensalza 1209-1239 Hochmeister des Deutschen Ordens. Vertrauter Kaiser Friedrichs II. Unter Hermann besaß der Orden 1211-1225 das Burzenland und begann mit der Unterwerfung der heidnischen Pruzzen. 1226 »Goldbulle von Rimini« (Friedrich II.) begründete die Landesherrschaft des D.O. in Preußen. [Uwe Ziegler: Kreuz und Schwert. Die Geschichte des Deutschen Ordens. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien. 2003. S.65] [Zurück]

    005 07.04.1277. Friedrich, Erzbischof von Salzburg, Legat des apostolischen Stuhles, Berthold Bischof von Bamberg, Bruno Bischof von Olmütz, Peter Bischof von Passau, Konrad Bischof von Freisingen, Leo Bischof von Regensburg, Dietrich Bischof von Gurk, Johannes Bischof von Chiemsee, und Bernhard Bischof von Seckau, geben allen Bußfertigen, welche die Kirche der Deutsch-Ordensbrüder zu Berge in der Magdeburgischen Diözese, die der Jungfrau Maria geweiht sei, und die Kirche derselben Ordensbrüder in Halle, der Heiligen Elisabeth geweiht, am Gedächtnistage der Kirchweihung besuchen, unter Zustimmung des Diözesan-Bischofs einen Ablass von 40 Tagen. Datum anno domini M°.CC°.LXXVII°. In Wienna [Wien], Septimo ydus Aprilis. [RAM III. 251. S.99] [Zurück]

    006 Kirchenbuch Bergen im Pfarrarchiv Groß Rodensleben. Georg Müller, Pastor zu Drackenstedt, 1697 Pastor auf dem Ordenshaus Bergen. Sein Nachfolger wurde 1729 Magister Ludolph Philipp Storm, Pastor zu Remkersleben und Kloster Meyendorff. Pastor Müller legte ein Kirchenbuch für Bergen an und vermerkte, was er über die Geschichte der Kirche in Erfahrung bringen konnte oder was ihn der Augenschein lehrte. [Zurück]

    007 18.02.1511. Bekenntnis des Rats zu Halle: Auf einer Freiheit der Deutschordensherren zu Halle a. Saale wurden Schenken und unzüchtige Frauenspersonen gehalten. So erwarb denn das Kloster Neuwerk in Halle das Deutschordensvorwerk zu S. Kunigunde zu Halle für die Stadt und wurde dasselbe " aus sonderlichen Beweggründen vmb einickeit, nachbarlicher forderungen, auch viel vnfuge vnd vnzucht zuuormeiden" abgebrochen. [Dreyhaupt: Saalkreis I, 830f., 832f., zit. von E. Jacobs: Hoier von Lauingen ... 1889. S.30] [Zurück]


    Publikation

    Vortrag, gehalten am Sonntag, dem 11.09.2005
    zum Tag des offenen Denkmals in der ehemaligen Kommende Bergen/Börde
    Thema: "Krieg & Frieden"


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