Das Herz ist ein fruchtbarer Acker, und die Gefühle sind ein unvertilgbares Unkraut;
die Jahre mögen noch so lange darüber hingepflügt haben, immer schlagen die Keime wieder aus.
CARL LEBERECHT IMMERMANN: Der Carnaval und die Somnambüle



Abitur und Abiturienten
1956

Oberschule Staßfurt Klasse 12B2


von
Ernst-F. Herbst


Alle Rechte an jeder Art der - auch auszugsweisen - Vervielfältigung
zum Zweck der kommerziellen Verwertung beim Verfasser.


Inhalt:

  • Vorbemerkung
  • Aus Tagebüchern vom 20.09. bis 30.06.1956
  • "Chossewitzer Tagebuch" (06.06. bis 13.06.1956)
  • Anmerkungen
  • Anlagen
- Literaturliste Deutsch 12. Klasse (03.09.1955)
- Abiturthemen Deutsch schriftlich
- Abiturthemen und -fragen Chemie
- Themenkreise Geschichte
- Prüfungsfragen Geschichte
- Themenkreise Gegenwartskunde
- Aufruf zu Beiträgen für die Abiturzeitung (28.5.1956)
- Abiturzeitung Aus der Schule geplaudert" (26.06.1956)
- Ansprache bei der Übergabe der Abiturzeugnisse (30.06.1956)
- Termine der Abiturprüfungen und der Klassenfahrt 1956
- Unsere Lehrer

Vorbemerkung

Das Heft entstand vor dem Pfingsttreffen der gereiften Jugend in Staßfurt und Blankenburg, ein halbes Jahrhundert nach unserem Abitur an der Oberschule Staßfurt.
Für die Unterstützung bei der Suche nach Informationen ist unseren ehemaligen Mitschülerinnen und -schülern und Frau Seibt, Herrn Redlich und Herrn Kersten zu danken.
Das Heft wurde im Druck- und Kopierservice Am Uniplatz Magdeburg in 30 Exemplaren vervielfältigt.
Ein ungenannt bleiben wollender Sponsor ermöglichte die unentgeltliche Verteilung an einen auserwählten Kreis.

Erinnerungen an Ereignisse vor 50 Jahren sind selektiv. Sie verraten, was für den sich Erinnernden aus heutiger Sicht wichtig war - unabhängig davon, ob sie richtig sind. Tagebuchaufzeichnungen sind auch selektiv. Sie verraten, was am Tag der Niederschrift für den Schreiber wichtig war.

1956 Passbild

Was hier folgt, sind die Notizen eines Jungen vom Dorf an der Wende vom 16. zum 17. Lebensjahr, nahezu jeden Tag aufgeschrieben. Der Text wurde von persönlichsten Erinnerungen und gröbsten stilistischen Fehlern befreit. Orthografisch und grammatikalisch gab es dank unserer engagierten Deutschlehrer kaum etwas zu korrigieren. Die Aufzeichnungen dürften einen Einblick in das Leben, die Alltagsprobleme und das Denken eines Abiturienten des Jahrgangs 1955/56 geben. Sie enden am 30. Juni 1956.

Die eingeschobenen und angehängten Anmerkungen erinnern an politische Ereignisse in der ersten Hälfte des ereignisreichen Jahres 1956. Einige davon haben wir trotz Gegenwartskundeunterrichts und FDJ-Schuljahr gar nicht und andere aus der Froschperspektive der Pennäler zur Kenntnis genommen.
Vom politischen Weltbeben, das der XXII. Parteitag der KPdSU auslöste, erreichten uns nur schwache Wellen.
Die Gründung der NVA Anfang des Jahres 1956 berührte uns weniger als der Verzicht der DDR-Regierung auf die Wehrpflicht. Denn deshalb wurden mit allen Jungen, und besonders mit den Sportskanonen, Gespräche über einen freiwilligen Wehrdienst geführt. Der Tagebuchschreiber hat sich nie durch sportliche Leistungen ausgezeichnet, da blieb es bei einem Gespräch.
Die folgenreichen Partei- und Regierungsbeschlüsse zur Schulpolitik - die Einführung der allgemeinbildenden zehnklassigen Polytechnischen Oberschule (POS), die Berufsausbildung mit Abitur und das Abitur mit Berufsausbildung - betrafen uns nicht mehr.
Die Ungarn-Ereignisse und die Berichte darüber mit den Bildern grausam verstümmelter Leichen von Parteifunktionären auf den Straßen Budapests standen noch bevor, wie auch der Suezkrieg Israels, Großbritanniens und Frankreichs gegen Ägypten unter Gamal Abdel Nasser.

Bei den Erklärungen zu Begriffen und Abkürzungen habe ich an meine und an die Enkel meiner Mitschüler gedacht, falls die noch lesen können und erfahren wollen, wie ihre Großeltern unter der Diktatur des Proletariats litten. Der von DDR-Kabarettisten oft verspottete AKÜFI versperrte schon zu DDR-Zeiten manchem den Zugang zum Verständnis einfacher Sachverhalte. Seit ich unlängst Dorfbewohner vor einem Schild im Heimatmuseum herumrätseln hörte, was die Buchstaben V d g B einst bedeutet haben könnten, neige ich dazu, uns selbstverständlich erscheinende Abkürzungen zu verdolmetschen.

Mai 2006


Aus Tagebüchern 1955


20.09.1955
"Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und die UdSSR"
im Geiste der "Zwei-deutsche-Staaten-Theorie" Chruschtschows.
26.09.1955
Die Volkskammer beschließt das "Gesetz zur Ergänzung der Verfassung
über den Dienst zum Schutz des Vaterlandes" sowie
Gesetze über Staatswappen und Staatsflagge der DDR.


Freitag, 21.10.

Unser früherer Mitschüler Fritz hielt heute einen Vortrag über Sinn und Aufgaben der KVP. Der Vortrag war durchaus logisch und überzeugend. Es lief aber alles darauf hinaus, daß man die Heimat und die sozialistischen Errungenschaften verteidigen müsse. Die Heimat: das sind für mich der Marbedreck, die verschmutzte Bode, die A.dorfer Schlaglöcher, die Spießbürgerlichkeit vieler Menschen. Das sind viele graue Tage und wenige sonnige. Das ist viel Ärgerliches und wenig Erfreuliches. Und dafür ins Massengrab? Ich kann mir vorstellen, daß ich auch anderswo eine Heimat finden würde. Die Römer hatten eine vernünftige Einstellung: ubi bene, ibi patria. Und daß es mir hier besser gehen wird als anderswo, das halte ich für sehr fraglich.
Wenn man sich über unsere Errungenschaften informieren will, dann gehe man einmal in den HO-Laden und verlange Margarine, Käse, Heringe, Streichhölzer. Ganz zu schweigen von "Luxusartikeln" wie Zitronen, Orangen, Puder- oder Würfelzucker. Oder man bemühe sich einmal um Fahrradersatzteile. Auch da wird man über die Erfolge unserer Wirtschaft erstaunt sein. Und dafür die Knarre nehmen?


Sonnabend, 22.10.

Beim Wecken die Nachricht, daß es regnete. Der geplante Ernteeinsatz fiel wie erwartet aus gerade heute sollte er bezahlt werden. Die Schulstunden wurden abgehalten, allerdings in sehr erleichterter Form.
Klaus K. verabschiedete sich von uns. Er zieht nach dem Westen.
Nach etwa einem Vierteljahr erhielt ich endlich meine Armbanduhr vom Uhrmacher zurück. Sie geht aber immer noch nicht richtig.


Montag, 24.10.

Im Deutschunterricht erhielten wir eine Arbeit zurück. Leider nur eine Zwei! Für einen Bewerber um einen Studienplatz für Journalistik wäre eine Eins in Deutsch wünschenswert.
Nach dem Unterricht wurden wir Propagandisten auf die FDJ-Mitgliederschulung vorbereitet. Nun fängt der ganze Jammer wieder an! Im Frühjahr war das alles ja wesentlich besser. Damals wollte ich mir im FDJ-Schuljahr eine Freundin erobern, damals glaubte ich noch an das, was ich vortrug - wenigstens zum Teil. Heute habe ich eine Jungenklasse, und ich muß das Gegenteil von dem, was ich denke, sagen.
Morgen soll ich im Deutschunterricht einen Vortrag über Herwegh halten. Da hatte ich heute nachmittag genug zu tun. Schließlich mußte ich für mehr als acht Tage Literatur ins Heft. nachtragen


Mittwoch, 26.10.

Gestern nieselte es fortwährend, so daß wir nicht glaubten, der geplante Ernteeinsatz könne heute gestartet werden. Heute vormittag war es aber windig und trocken und wir gingen auf den Acker, Kartoffeln lesen.


27.10. bis 10.11.1955

Heinrich Rau, Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, besucht mit einer Regierungsdelegation Indien und Ägypten.
Die Delegation wird in Indien von Nehru und in Ägypten von Nasser empfangen.


Freitag, 28.10.

Gestern abend ging ich mit Masche ins Kino. Wir sahen den französischen Film "Untreue". Eine Handlung um die Skandalgeschichten der oberen Schichten in Rom. Inhaltlich und formal gut.

Heute vormittag war Sportunterricht. Ich gerate immer näher an das Ende der Bestenliste. Aber die anderen haben ja auch viel mehr Möglichkeiten zum Training.

In diesem Jahr ist für uns Abiturienten in spe der große Lebenslauf fällig. Meiner soll umfangreich werden. Um möglichst viele Einzelheiten zu berichten habe ich mir vorgenommen, schon jetzt zu beginnen und Tag für Tag Material zu sammeln.


Sonnabend, 29.10.

Im Deutschunterricht erhielten wir Instruktionen für die Anfertigung des Lebenslaufs. Im Prinzip hatte ich die Aufgabe schon richtig erfaßt. Ergänzend kommt noch eine Beschreibung der Heimat- also A.dorfs.

Nach dem Unterricht wartete ich über eine Stunde lang auf Hirschi. Es fand eine der üblichen ZSGL-Sitzungen statt. Viel Gerede und kein Ergebnis.
Unser religiöses Gefühl ist wieder erwacht, am Montag wird der Reformationstag gefeiert, weil für alle bekennenden Evangelischen schulfrei ist.


Montag, 31.10.

Das Konzept des Lebenslaufs ist fertig. 52 Seiten, dazu noch einige Erweiterungen - das gibt eine Autobiographie im Kleinen. Leider fehlt dem Ganzen etwas: der Esprit, das Bissige.
Nachmittags geht es nach Staßfurt. Hirschi muß sein Fahrrad zurück bekommen, wir wollen baden und ins Kino gehen. Gespielt wird "Kleider machen Leute" mit Heinz Rühmann.


Dienstag, 1.11.

Ich ließ mich überreden, mit zum Training zu gehen. Bis zur Merkewitzhalle!

Soeben habe ich den ersten Teil des Lebenslaufs durchgelesen und korrigiert. Es haften ihm noch ziemlich viele Mängel an und er muß vollkommen neu geschrieben werden.

Morgen steht mir ein anstrengender Tag bevor. Nachmittags Kino: "Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse". Abends Tanzstunde.


Donnerstag, 3.11.

Gestern nachmittag sahen wir den Thälmann-Film - ein wirklich mitreißendes Filmwerk, inhaltlich und formal vollkommen.

Die Tanzstunde war so das übliche für uns. Zusehen, ein wenig lästern, sich über Mädchenbeine unterhalten und am anderen Morgen nicht ausgeschlafen haben.

Heute früh in der ersten Stunde bekam ich gar nichts mit, in der zweiten wenig, und in der dritten schrieben wir eine Arbeit.


Freitag, 4.11.

Heute abend findet das lange erwartete Tanzstundenkränzchen statt. Ich werde mit dem Rad nach Staßfurt fahren.


Sonnabend, 5.11.

Heute vormittag - schrecklich. Obwohl wir erst eine Stunde später zur Schule zu fahren brauchten, kam ich zu spät. In Deutsch muß ich das Protokoll schreiben, in Chemie war eine Arbeit fällig.


Mittwoch, 9.11.

Heute vormittag Berufsberatung bei Direktor Kerber. Er war sehr freundlich. Ich ließ mich nicht weiter auf sein Angebot ein, die Offizierslaufbahn zu ergreifen. Sagte, ich würde anderthalb oder zwei Jahre dienen, wenn ich die Gewißheit hätte, danach studieren zu können.

Ich lese gerade "Traum in Louisiana" (Louis Bromfield).


Donnerstag, 10.11.

Wir waren gestern im Theater.
Auf der Rückfahrt hatte der Zug nach F.stedt eine Dreiviertelstunde Verspätung.


Freitag, 11.11.

Karneval! In Staßfurt ist an diesem denkwürdigen Tag nichts vom Fasching zu merken. Die Disziplin in der Schule ist etwas gelockert, das ist alles.


Sonnabend, 12.11.

Mit Masche und Hirschi war ich zum Karnevalsball. Es gefiel uns dort ganz und gar nicht. Die Oberschule war nur in der Minderheit vertreten, das Parkett bevölkerten Pionierleiter und FDJ-Funktionäre, die die deutsch-amerikanische Freundschaft propagierten, indem sie im Walzertakt Boogie-Woogie tanzten.
Wir zogen weiter. Nachdem wir ein paar "Schnecken" zum Abendbrot verzehrt hatten, schlichen wir noch einmal zum "Haus der Jugend". Das Bild hatte sich kaum geändert. Also gingen wir zu Klingsch. Dort hatte die Tanzstundengesellschaft kaum eine Stunde getanzt, als das Licht ausging. Da saßen wir dann beim Kerzenschein und amüsierten uns.


2.-3.12.1955
II. Hochschulkonferenz der SED berät Fragen der politischen Erziehung und der Hebung des ideologischen Niveaus der Studierenden an den Universitäten und Hochschulen.
Referat: KURT HAGER (1912-1998. 1955 Sekretär des ZK der SED, verantwortlich für Wissenschaft, Volksbildung, Kultur)



Mittwoch, 7.12.

Heute hatte ich ein Gespräch mit dem Chefredakteur der "Volksstimme". Seinen Reden nach zu urteilen scheinen Journalisten sehr gefragt zu sein. Vier Jahre Studium, ein Jahr Praktikum. Wohnung im Internat. Stipendium 130.- DM. Günstige Aussichten, als Dipl.-Journalist anzukommen. Anfangsgehalt 1000.- DM monatlich. Aussichten! Aussichten! Hoffentlich erlebe ich es. Wenn bloß kein Krieg dazwischen kommt!

Nach den Weihnachtsferien geht's an die Abi-Vorbereitung! (Soll's rangehen!)


Donnerstag, 08.12.

Stromsperre! Wieder einmal, wie seit Jahren, sitzt man bei trautem Kerzenschein und verdirbt sich die Augen. Das Schlimmste ist die Stille - denn auch das Radio schweigt.

Wir bekamen endlich die "Darstellung meiner Entwicklung" zurück. Die viele Arbeit, die ich mir damit gemacht hatte, wurde mit einer Eins belohnt. Immerhin ein Erfolg. Wenn ich das Ganze jetzt durchlese, erscheint mir der Stil recht nüchtern und ungeschickt. Ob mir die Begabung zum Journalisten doch fehlt? Hirschi und Masche meinen: "Er war Journalist und auch sonst von geringem Verstand." (Eigentlich bezieht sich diese Weisheit auf die Juristen und stammt von unserem Gegenwartskundelehrer Fräsdorf.)

Ich lese wieder einmal Nietzsche. Obwohl seine Philosophie - der Gedanke des Übermenschen, der Egoismus als Prinzip des menschlichen Lebens - abzulehnen ist, findet sich in seinen Werken so manche Weisheit. So las ich z.B. den Satz:
"Fehler des Standpunktes, nicht des Auges. Man steht sich selber immer einige Schritte zu nah und dem Nächsten immer einige Schritte zu fern. So kommt es, daß man ihn zu sehr in Bausch und Bogen beurteilt und sich selber nach einzelnen, gelegentlichen unbeträchtlichen Zügen und Vorkommnissen."


08. bis 09.12.55
Einführung der "Hallstein-Doktrin" -
Alleinvertretungsanspruch der BRD; Grundsatz, dass keine diplomatischen Beziehungen zu Staaten unterhalten werden, die ihrerseits die DDR anerkennen (außer zur UdSSR).


Sonntag, 11.12.

Gestern las ich in Stifters "Aus der Mappe meines Urgroßvaters. Stifter gibt den Rat, ein Tagebuch zu führen, alles, was einen bewegt, aufzuschreiben, und das Geschriebene nicht vor Ablauf einer Frist von drei Jahren zu lesen. Ein guter Vorschlag.
Ich las auch im Kleist-Lesebuch. Man nennt Kleist den "unglücklichen Dichter" - ob er wirklich so unglücklich war? Ich meine, sein Selbstmord kann kein Beweis dafür sein, daß er sein ganzes Leben lang unglücklich war.


Montag, 12.12.

In der Nacht war nun endlich Frost, so daß wir mit dem Rad durch die Marbe fahren konnten. Leider verlor ich etwa einen Kilometer vor Staßfurt die Kugeln aus dem Lager der Vorderradnabe und mußte das Rad schieben. Das Fahrrad brachte ich zu Döring, borgte mir eins von Hirschi, kam aber erst abends nach Hause.


Dienstag, 13.12.

Nach der Schule Sitzung der FDJ. Das übliche Gemähre.

Mein Rad wurde noch nicht repariert.


Mittwoch, 14.12.

Chemiearbeit! Ich war wie bekloppt. Hoffe aber, es reicht noch zur Zwei.
Wurde zum FDJ-Schulungsleiter gewählt. Undankbarer Posten.
Mein Rad war erst halb Fünf fertig.
Am Freitag will ich ins Kino gehen (französischer Film "Der Sonntagsangler").


Donnerstag, 15.12.

Gestern las ich in einem Buch von Hirschi ( “ Das Papageiennest“), man solle den Tag mit einem Lächeln beginnen. Bei mir findet ein guter Rat immer ein offenes Ohr, so nahm ich mir vor, dieser Empfehlung zu folgen.
Aber was wurde daraus!
Noch im Bett hörte ich, daß es regnete. Da vergaß ich zu lächeln und schrie "Verdammter Scheißdreck!" Die gute Laune war fort. In F.stedt und in Staßfurt mußten wir vor den Eisenbahnschranken warten. Als wir in den Schulhof einbogen, klingelte es schon zum Stundenbeginn.
Dann der Aufsatz mit dem ganz dämlichen Thema. "Freiligraths Gedicht 'Von unten auf!' - eine revolutionäre Kampfansage." Und meine Laune dazu! Mit der Arbeit war ich in der Hälfte der vorgegebenen Zeit fertig.


Freitag, 16.12.

Die Mathearbeit war nicht besonders schwer. Vielleicht habe ich mit ihr die Serie der Zweien endlich gebrochen.

Eben habe ich einen Wildwestroman gelesen. Bis jetzt glaubte ich immer noch, man übertreibe die Gefährlichkeit dieser Schundliteratur. Dieses Heft hat mich eines Besseren belehrt. Eine Stelle daraus: "Einen Menschen zu töten, ist durchaus keine Kunst. Einige Unzen Blei in eine der empfindlichsten Stellen des menschlichen Körpers, und der Fall ist erledigt." Ein vielfacher Mörder ist der Held - Helfer der Armen, Feind der Reichen. Mörder und Räuber sollen für die gerechte Umverteilung der Güter sorgen!


Sonnabend, 17.12.

Vielleicht fange ich mit der Arbeit an meinem Lebenslauf für die Abiturkommission an. Denn es dauert gar nicht mehr so lange, bis wir vor dem Abi stehen. Bis zu den Weihnachtsferien müssen wir nur noch vier mal zur Schule.


Sonntag, 18.12.

Ich las gestern und heute "Cromwell" von Jelusisch. Starke Tendenz zum Führertum.


Montag, 19.12.

Wir erhielten die Chemiearbeit zurück. Wie erwartet Zwei. Aber es gab so viele Einsen! Ich glaube tatsächlich, ich "sacke ab".

Polly will kommen, um sich mit mir auf die Russischarbeit vorzubereiten. Es ist ganz gut, denn allein würde ich sowieso nicht lernen. Es hat ja in diesem Falle auch wenig Zweck. Eine Eins rettet mich nicht mehr vor einer Zwei im Tertial, und eine Zwei traue ich mir auch ohne Vorbereitung zu.


Mittwoch, 21.12.

Ich las vorgestern abend im "Untertan" von Heinrich Mann.

Die Russischarbeit brachte gestern für einige von uns eine Überraschung. Sie hatten die Nacherzählung schon in ein Heft geschrieben - es war die erste Arbeit dieses Jahres - und wollten sie so abgeben. Fräulein Leopold ordnete aber an, daß die ersten beiden Seiten frei bleiben sollten.

Es wirkt schon etwas beängstigend, daß fast alle ihre Leistungen verbessert haben, während ich "abgesackt" bin. In der Erdkundearbeit habe ich nur ein "Genügend", so daß sogar die Tertial-Zwei in Frage gestellt ist. Ob die geistigen Kräfte nachlassen? So kurz vor dem Ziel natürlich äußerst unangenehm. Vielleicht halte ich doch noch durch.

Gestern nachmittag schaffte ich den Rest des "Untertan". Ich glaube endlich verstanden zu haben, was ein "großer Dichter" ist - daß die Größe sich nicht nach der Menge und Popularität der Erzeugnisse allein richtet.


Freitag, 23.12.

Am Mittwoch abend war Theaterbesuch. "Madame Butterfly" gefiel mir nicht so recht. Abgesehen davon, daß nach Meinung der anderen die Rollen nicht richtig besetzt waren und die Sänger nichts konnten (davon verstehe ich nichts), war die Musik mir so ungewohnt, daß ich nichts dabei empfand.

Heute hatten wir nur vier Stunden Unterricht. In Erdkunde wurde ich geprüft. Stand zwischen Zwei und Drei und hatte recht wenig Ahnung. Nach Meinung der Mitschüler "schwamm" ich wie noch nie. Trotzdem gab Kow "noch Zwei". Nachher meckerte er dann Masche und mich an, wir hätten ihn einmal in der Stadt nicht gegrüßt.

Abends waren Hirschi, Masche, Hemmi, Weikel und ich zum Tanz in der "Sodabude".

Heute abend will ich nach Staßfurt zum Turnen.


Donnerstag, 29.12.

Gestern nachmittag las ich "Der Goldene Reiter", ein Buch über die Glanzzeit Dresdens. Ich sollte im Laufe des nächsten Jahres mal Dresden besuchen.

Gegen Abend kam Martin. Er arbeitet z. Z. auf dem Bau.

Jahresrückblick:

Am Anfang des Jahres ging ich häufig ins Kino. Meistens mit Masche, Hirschi, Hemmi und Weikel.
Fräulein Wiegand hatte mich überredet, bei einer Aufführung des "Schneeball" mitzuwirken. Aus dem Stück und meiner Schauspielerkarriere wurde nichts.

Am Wandertag (21. Februar) fuhren wir nach Wernigerode. Davon ist mir nicht viel in der Erinnerung haften geblieben. Finki, der jetzt im Westen ist, erfroren damals die Zehen.

Im Sommer waren wir oft im Strandbad.

In den Ferien war die Klasse in Baabe an der Ostsee. Wir verbrachten dort herrliche Tage. So viel Sonne, Sand und Wasser mußte sich ja stärkend auf die Seele auswirken.

Im August arbeitete ich in der Niemann-Brauerei. Da lernte ich kennen, was Arbeit ist und daß man zwei Liter Bier am Tag trinken kann, ohne betrunken zu werden.

Im Oktober begann ich Tagebuch zu führen.

Meine politische Anschauung hat sich verschiedentlich geändert, letztlich behielt eine prosozialistische Einstellung die Oberhand.

Nach langem Suchen habe ich endlich den Beruf des Journalisten zu meinem Lebensberuf gewählt.

Das Rauchen habe ich mir so stark angewöhnt, daß ich es kaum noch lassen kann. Fürs Trinken habe ich weniger übrig.

Meine Pläne fürs nächste Jahr:

Erst einmal pauken vom ersten Tag an, damit das Abitur erträglich ausfällt.

Reisen nach Dresden, zur Leipziger Messe, nach Monschau und an die Ostsee.

Im Sommer will ich versuchen, bei der "Volksstimme" zu arbeiten.


Aus Tagebüchern 1956


Montag, 2.1.

Nun ist bereits der zweite Tag des neuen Jahres fast vorbein und mit ihm schwindet auch das Gefühl: du hast ja noch 365 - nein, sogar 366 Tage Zeit, um deine guten Vorsätze zu verwirklichen. Ich habe wenigsten zweierlei getan: die Bereifung des Fahrrads ausgewechselt und drei Artikel in "Wissenschaft und Fortschritt" gelesen.

Zum Geburtstag bekam ich heute schon das "Dschungelbuch" und habe es in einem Zuge durchgelesen.

Vom Ersparten wollte ich einen Trenchcoat kaufen. Es gibt nämlich gerade welche. Vati will mir aber den Mantel bezahlen. Allerdings ist Geld erst im Februar zu erwarten. Ob es dann noch Trenchcoats geben wird?

Morgen früh will ich nach Staßfurt: Piecks Geburtstag feiern.


03.01.1956
Beginn des offiziellen Fernsehprogramm der DDR ( "Deutscher Fernsehfunk").
Tägliche inoffizielle Programmausstrahlung seit 04.06.1952,
erstes offizielles Versuchsprogramm und "Aktuelle Kamera" am 21.12.1952.


Dienstag, 3. Januar

Auf der Fahrt nach Staßfurt vor der Stadt Polizeiwagen. "Halt! Stehen bleiben!" Als folgsamer Staatsbürger stieg ich natürlich vom Rad. Da kamen dann an die 20 Lkw mit den Kampfgruppen der Betriebe. Es ist kalt, und die Ärmsten haben sicher sehr gefroren. Da mir niemand die Erlaubnis gab weiterzufahren, nahm ich mir diese Freiheit selbst.

Nach der Geburtstagsfeierstunde für den Präsidenten (die Aula war wider Erwarten voll) tranken wir auf meinen Geburtstag: Fliege (der mir zwei Flaschen schenkte), Öhme , der Lange, Hemmi, Hirschi, Masche und ich.


Mittwoch, 4.1.

Am Sonnabend wollen wir ins Kino gehen: "Rot und Schwarz" mit Gérard Philipe, doppeltes Programm - doppelte Preise. Hoffentlich nicht halbe Qualität!


Freitag, 6.1.

Gestern war starker Andrang nach Kinokarten für die Sonnabendvorstellung. Unsere Organisation klappte: jeder stand eine halbe Stunde in der Schlange (nur ich nicht), und so bekamen wir die Karten als erste.
Nach dem Abendessen bei dem Langen gingen wir zum Turnen in die Lutherhalle. Höhepunkt des Turnens wurde eine allgemeine Rauferei.


Sonntag, 8.1.

Mit Hemmi, Hirschi und Masche zogen wir vor dem Beginn der Kinovorführung durch die Stadt. Ich fürchtete sehr, nicht ins Kino gelassen zu werden. Glücklicherweise gab es keine Alterskontrolle.


09.-14.1.1956
IV. Deutscher Schriftstellerkongreß mit Reden von J. R. BECHER und ANNA SEGHERS.


Montag, 9.1.

Heute bin ich mit dem Lesen von Ostrowskis "Wie der Stahl gehärtet wurde" fertig geworden.


Donnerstag, 12.1.

Erster Schultag, und wahrlich ein trauriger Tag. Heute nacht nicht viel geschlafen. Regen, Gegenwind. Dann zu spät in der Schule angekommen.
Später besserte es sich etwas: wir bekamen unsere Zensuren mitgeteilt, ich erhielt bessere als verdient und erwartet. Natürlich auch kein sehr angenehmes Gefühl.

Der Aufsatz, den wir kurz vor den Ferien schrieben, brachte ein "Sehr gut", womit die Eins für das 1. Tertial gesichert war.

Morgen wollen wir uns nach Karten für den Film "Der Graf von Monte Christo", 1. Teil, anstellen.

Der Besuch eines Vortrags gestern abend war lohnend. Vielleicht läßt es sich ermöglichen, öfter mal Vorträge der "Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse" zu besuchen.


Sonntag, 15.1.

Am Freitag kauften wir "mit System" Kinokarten, gestern abend sahen wir "Der Graf von Monte Christo". Heute wollten wir, Hirschi und ich, eigentlich zu Klingsch zum "Kindertanz" gehen. Es wurde aber nichts daraus.


Montag, 16.1.

Heute vormittag gab mir Uta B. ein Propagandaheft der FDJ zum Verkaufen. Die Klassenkasse bezahlt.
Heute nachmittag fand ich endlich Zeit, einige Hausaufgaben zu erledigen.

Am Donnerstag in acht Tagen ist wieder eine Theatervorstellung: "In einer Stadt". Rainer wird mich wohl in seinem Auto mitnehmen. Wie ich zurückkomme, weiß ich noch nicht.


Mittwoch, 18.1.

Leider konnte ich heute nachmittag nicht die ganze Volkskammersitzung verfolgen. Ich mußte einige Wege erledigen. Man beriet über die Wehrpflicht in der DDR. Und sonderbar: so sehr ich anfangs die Auffassung unseres Staates ablehnte und haßte, so gut kann ich sie jetzt verstehen.
Zwar wird es nicht unbedingt notwendig sein, den Wehrdienst zur Pflicht zu machen, und doch kann man sagen, daß die Wehrpflicht die allgemeine Entwicklung beschleunigen wird. Vom Standpunkt der Regierung ist sie notwendig.
Warum soll man nicht hoffen, daß die Waffen unserer Armee ebenso wenig auf Menschen gerichtet werden, wie die Waffen des Schweizer Volksheeres? Schrecklich wäre es allerdings, wenn es einmal gegen Deutsche aus dem Westen ginge. Und man muß leider fürchten, daß die Spannungen wachsen, daß die Spaltung Deutschlands sich weiter vertieft. Noch ist es so, daß die Theorie des Sozialismus der Praxis weit voraus ist, daß es viele Dinge nur auf dem Papier gibt - Rede-, Presse-, Versammlungsfreiheit z.B.. Sind aber nicht letztendendes die kapitalistischen Staaten an diesem Zustand schuld? Hätte ohne ein diktatorisches Regime unser Staat überhaupt so lange bestehen können? Hätte es eine Boden- und eine Schulreform, hätte es das Gesetz zum Schutz der Arbeit und das zum Schutz der Jugend geben können?
Ist nicht unsere wirtschaftliche Rückständigkeit in der Hauptsache darauf zurückzuführen, daß die DDR fast ohne Auslandskredite arbeitet? Ich erinnere mich noch gut eines Gesprächs im Westen mit einem Mann, der 1947 oder 48 in die Westzonen gegangen war. Er meinte: "Die Bundesrepublik hat viele Auslandsschulden, gewiß. Aber es geht demjenigen, der Arbeit hat, gut, und auch die Arbeitslosen werden unterstützt. Und die Schulden? Es dauert sowieso nicht lange bis zum nächsten Krieg. Entweder wir verlieren, dann können wir unsere Schulden nicht bezahlen. Oder wir gewinnen, dann brauchen wir's nicht."


Freitag, 20.1.

Im Sportunterricht passierte ein Unglück: Ernstel, sonst stets lustig und durch nichts zu erschüttern, stürzte vom Reck und brach sich den Arm. Ich war betroffen, wie bleich und erstaunt er aussah. Man muß ihn bewundern. Kein Schrei und kein Stöhnen kam von seinen Lippen. Wir merkten erst, daß etwas passiert war, als er unter dem Reck liegenblieb und seine Gruppe sich um ihn herum stellte. Hoffentlich kann er bald wieder in die Schule kommen. Es wäre zu dumm, wenn er das Abitur nur dieses dummen Falles wegen verhaut.


22.-29.01.1956
MOZART-Woche in Berlin-DDR. Festakt in der Deutschen Staatsoper.


Sonntag, 22.01.

Neuerdings bin ich Kunde bei einer Staßfurter Leihbücherei. Als erstes holte ich mir "Junge Frau von 1914". Schon gestern abend gegen 1/2 11 hatte ich es durchgelesen.

Gestern beim Fahnenappell kündigte Herr Kerber einen Maskenball der Schule an. Es sollen Büttenreden gehalten werden, und ich habe große Lust, eine zu produzieren, die an eine Rede eines Politikers angelehnt ist.


Montag, 23.1.

Ernstel war in der Schule, in alter Frische. Fliege hat einen Nagel ins Auge bekommen, das wäre beinahe schief gegangen. Die beiden, Ernstel mit dem Arm in der Schlinge und Rainer mit dem verbundenen Auge, hißten beim Fahnenappell zum allgemeinen Gaudium die Flagge. Der Direktor war weniger erbaut.

Die Mathematikstunde fiel aus, damit auch die Mathearbeit. Im Biologieunterricht dozierte Herr Kerber aus dem Stegreif, und vielleicht besser als Herr Schwarzendorfer.

Ich war im Konsum. Sie hatten einen schönen hellen Trenchcoat da, der mir sofort ins Auge stach. Ich beschloß ihn zu kaufen. Die Post hatte aber schon geschlossen, so daß ich bis 15 Uhr warten mußte, bevor ich Geld vom Postsparbuch abheben konnte.
Inzwischen lieh ich in der Bücherei "Erziehung von Verdun" und "Der Streit um den Sergeanten Grischa" aus.
Nachdem das Geld vom Postsparbuch abgehoben worden war, lief ich wieder zum Konsum. Der helle Mantel war gerade verkauft. So nahm ich einen dunklen.


24.01.1956
Beschluß des Politbüros des ZK der SED "Der Jugend unser Herz und unsere Hilfe.
Über die Verantwortung und die Aufgaben der Partei bei der sozialistischen Erziehung und Förderung der gesamten Jugend der DDR"


Dienstag, 24.1.

In der Schule erhielten wir die Bewerbungsformulare für die Uni.


Mittwoch, 25.1.

Z.Z. lese ich den Grischa-Zyklus. Neulich "Junge Frau von 1914", gestern schaffte ich "Erziehung vor Verdun".


Freitag, 27.1.

Die Theatervorstellung gestern begann schon um 1930 Uhr. Wir mußten uns vor der Aufführung einen Vortrag anhören. Das Stück "In einer Stadt" war wenig spannend und nur dadurch zu ertragen, daß wir's als Lustspiel auffaßten.
Polly, Jürgen, Martin und Heinz wollten nicht kommen. Weil unsere Plätze ganz hinten und ihre ganz vorn lagen, begaben Rolf und ich uns dort hin. Aber siehe! Nach dem Vortrag mußten wir wieder abhauen, denn außer Martin kamen sie alle. Wir setzten uns dann noch eine Reihe weiter nach vorn.

Mittags aß ich bei Hirschi, las den Grischa-Roman zu Ende und ging dann mit Hirschi, Masche, Rolf, Ernstel und Wodjus zur Kreispolizei. Wir waren in angeregter Stimmung. Nachdem wir endlich an der Reihe waren (das dauerte recht lange), wollten wir alle sechs auf einmal hinein. Wir hatten ja alle das gleiche Anliegen. Der Beamte (länglich und schmal) wollte aber nur einen einlassen. Mir rutschte heraus: "Das ist ja Bürokratismus!" Worauf er ziemlich scharf darauf hinwies, er könne mich auch hinauswerfen.
Wir spotteten im Vorraum über ihn, ich ging als letzter hinein. Höflich bat ich um Auskunft, ob Staßfurt für mein Führungszeugnis verantwortlich sei. Er schickte mich nach F.stedt.
Wir verschwanden. Draußen sagte ich irgend etwas über Bürokratismus und daß er nichts mehr zu meiner Kritik gesagt hätte, "das lange Elend". Unglücklicherweise hörte das sein Kollege. Es half mir nicht, daß ich behauptete, ich hätte Wodjus gemeint. Rein mußte ich, er hinterher, und dann entschuldigt. Das "Elend" guckte nicht schlecht. Nachher drohte er, mein Führungszeugnis zu versauen.
Wir hatten jedenfalls etwas zu lachen.

Um den Tag würdig zu beschließen, gingen wir zum Photographen, auf daß unsere edlen Angesichte der Nachwelt überliefert werden mögen.


Sonnabend, 28.1.

Mein Gesundheitsbogen ist zufriedenstellend ausgefallen. Hoffentlich fällt das Führungszeugnis auch so aus (ich habe Bedenken!), und das Paßbild ebenfalls.


Sonntag, 30.1.

Das Wetter war gestern sehr schön: trocken, Sonnenschein, kein Wind und alles weiß vom Schnee. Beim Nachhausefahren hatten wir Glück: ein Fahrer von der MTS nahm uns und unsere Fahrräder mit nach A.dorf.

Den Grischa-Zyklus habe ich nun durch, leider den letzten Band nicht geschafft. Heute habe ich "1793" von Victor Hugo gelesen.


Dienstag, 31.1.

Das Abitur rückt näher - am 16. April, in 76 Tagen, beginnen die schriftlichen Prüfungen - aber ich habe nicht einmal Furcht. So kommt es, daß ich bisher noch nichts wiederholt habe und auch die Hausaufgaben sehr nachlässig ausführe.

Am Freitag in acht Tagen kann ich mein Führungszeugnis abholen.

Neuerdings sollen wir vor dem Unterricht singen. Das wird ein schönes Geheule werden.


Donnerstag, 2.2.

Wir waren im Kino und sahen "Unternehmen Xarifa". Ein Film mit herrlichen Farbaufnahmen.

Auf dem Heimweg mit dem Rad erfroren mir fast die großen Zehen. Ich bin deshalb heute mit dem Bus gefahren.


Freitag, 3.2.

Wir haben heute eine Englischarbeit geschrieben.

Heute abend spielt die Kapelle "Schwarz-Weiß". Viele aus der Klasse wollen hingehen. Ich wäre ja auch gern gefahren, aber das Wetter ist zu schlecht.


Sonntag, 5.2.

Gestern abend war ich bei Hoppel, wir tranken uns erst Mut an und gingen dann zum Tanzabend in der Sodafabrik. Wir verschwanden halb Eins, die Veranstaltung dauerte bis Eins. Da waren wir schon wieder bei Hoppel. Ich schlief auf der Couch ganz angenehm.


Freitag, 10.2.

Im Laufe der vergangenen Woche erhielten wir die Mathearbeiten zurück. Zu meinem Erstaunen hatte ich nur eine Zwei, und die Eins bloß deshalb verfehlt, weil ich eine Ziffer vergessen hatte.
Am Dienstag wollte ich meinen Lebenslauf schreiben, kam aber nicht dazu, weil ich "Der Glöckner von Notre Dame" las.

Der Film "Der Teufelskreis" ist ein ganz beachtliches Filmwerk. Die Zeitverhältnisse werden klarer als in fünf Geschichtsstunden.


Rosenmontag, 13.2.

Mit der Bewerbung zum Studium habe ich in der letzten Zeit so viel Schreibereien gehabt, daß ich wenig Lust hatte, auch noch Tagebuch zu führen

.

Am Sonnabend waren wir zum Kappenball der Sodafabrik.

Sonntag, also gestern, las ich Novellen von Stendhal.

Heute zum Fasching waren die meisten von uns mit Holzpantoffeln und Rucksack in die Schule gekommen, alle hatten Bier mitgebracht. In der zweiten Stunde waren wir schon ziemlich angeheitert. Nach der dritten Stunde fand ein Umzug durch die Schule und über den Hof statt, dann durften wir verschwinden.
Weil ich auf den Bus warten mußte (ich habe meine erste Wochenkarte gekauft), bummelte ich durch die Stadt. Ich traf Hoppel, der vollkommen blau war, mit Fliege (als Mädchen verkleidet), Öhme und dem Langen. Wir gingen zum Haus der Jugend. Dort fand eine Veranstaltung der Oberschule statt.


14.-25.02.1556
XX. Parteitag der KPdSU in Moskau mit Rede NIKITA S. CHRUSTSCHOWS
über den Personenkult und STALINS Verbrechen.
Teilnahme einer Delegation der SED mit WALTER ULBRICHT und OTTO GROTEWOHL
.

Donnerstag, 16.2.

Heute schrieben wir eine Mathearbeit.

Z.Z. lese ich "Der falsche Nero" von Feuchtwanger.


17.02.1956
Heinrich-Heine-Feiern in der DDR anläßlich des 100. Todestages


Sonnabend, 18.2.

Herr Beutel kündigte einen Klassenaufsatz an. Das Thema höchstwahrscheinlich "Die Vermenschlichung des Menschen ist eine Aufgabe, für die keine Kunst zu schade ist" (Zweig). Ein schönes Thema.

Heute hatten wir das zweite mal Geschichtsunterricht bei Direktor Kerber. Er gestaltete die Stunde bedeutend interessanter als Herr Fräsdorf, man merkt ihm die Überzeugung an.
Ich kam gar nicht dazu, meine Frage zu stellen: "Wie ist es zu erklären, daß die meisten Menschen von Hitlers Propaganda überzeugt waren, während sie vom Sozialismus nicht zu überzeugen sind? Sollten sie das Schlechte lieber glauben als das Gute? Dann wäre der Sozialismus illusorisch, und für den einzelnen ergäbe sich die Notwendigkeit, Egoist zu werden, um nicht unterzugehen." Demnächst werde ich ihn mal fragen.


Sonntag, 19.2.

Der heutige Tag war eigentlich dazu bestimmt, durch die Aufstellung eines Wiederholungsplanes ausgefüllt zu werden. Aber es ist ja noch so viel Zeit! Wenn mein Fatum mir beschieden hat durchzusegeln, nützt alles Lernen nichts. Bin ich aber vorbestimmt, das Abitur zu bestehen - warum soll ich mich mit Büchern abquälen? Es lebe der Islam!

Beim Lesen einer Biographie oder eines biographischen Romans über Vincent van Gogh habe ich festgestellt, daß man mit schönen Worten den gesunden Menschenverstand widerlegen kann. Durch das Buch bin ich fast geneigt, den Impressionismus als Kunstform zu akzeptieren

.

Dienstag, 21.2.

Morgen sehen wir den Film "Robert Mayer - der Arzt aus Heilbronn".


Mittwoch, 22.2.

Wenn jede neue Erkenntnis den Menschen so schwer einging wie das Gesetz von der Erhaltung der Energie, dann wundert es mich gar sehr, wie viel die Menschen schon wissen.

Heute sprach Herr Kerber über verschiedene Probleme der Gegenwart - er versteht es zu überzeugen.
Die Chemiearbeit hat mal wieder nicht zur "Eins" gelangt.

Im Augenblick lese ich "Die Mutter". Als nächstes will ich mir dann "Morten der Rote" vornehmen. Ich glaube fast, ich habe es schon einmal gelesen.


Freitag, 24.2.

Das Thema des Aufsatzes war wie erwartet. Mein Aufsatz gefiel mir aber gar nicht. Ich beschränkte mich auf eine Aufzählung von Dogmen, teils selbst erfundenen, teils fremden.


Sonntag, 26.2.

Wir sahen "Der Graf von Monte Christo" II.

Leider hatte der Zug nach F.stedt über eine Stunde Verspätung, ich kam erst gegen 1/2 3 Bett.
"Morten der Rote" habe ich durchgelesen. Ich kannte es tatsächlich schon.


Dienstag, 28.2.

Heute ist schulfrei.
Ich hatte es mir so schön gedacht: lange schlafen, Schularbeiten erledigen, lesen. (Ich bin gerade bei "Schuld und Sühne - Raskolnikow" von Dostojewski.) Aber Schiet. Weil Tauwetter zu erwarten ist, mußte die Straße gefegt werden - zwei Stunden futsch. Und die häuslichen Arbeiten nehmen allerhand Zeit in Anspruch - Feuer in Gang halten, Wasser von der Pumpe in die Küche tragen, Milch holen und kochen, Bett machen, rasieren. Es ist gleich 12, und ich habe noch nichts für die Schule getan.

Gestern sprachen wir in Gegenwartskunde über die Literatur in der SU. Seit Scholochow die Schriftsteller kritisiert hat, dürfen wir es ja auch tun. Die Kritik ist bei uns solch Ding für sich. Eigentlich kritisiert man nur das, was zu kritisieren erlaubt ist. Aus Angst oder aus mangelnder Erkenntnis?


Mittwoch, 29.2.

Gestern abend lief ich nach F.stedt zum Bahnhof. Wir kamen in letzter Minute im Theater an und sahen statt der Operette "Mädels aus der Lobau" zur allgemeinen Freude "Frau Luna".

Gestern bekam ich das Buch "Im Zwielicht der tropischen Wälder" geschenkt. Es scheint sehr gut zu sein. Mehr Lehr- als Unterhaltungsbuch.


Donnerstag, 1.3.

Zur Schule war ich nicht. Schnupfen, Kopfschmerzen und Angst vor der Erdkundestunde bewogen mich, das Bett zu hüten. Ich trieb Erdkunde auf meine Art - indem ich das Tropenbuch las.

Ich will nachher noch einen Wiederholungsplan aufstellen. Das Lesen schöngeistiger Literatur fällt damit fort.

Bisher wollte ich die schriftliche Prüfung in Physik ablegen. Dadurch hätte ich die anderen Zensuren nicht gefährdet und die Aussicht gehabt, in Physik auch schriftlich ein "Sehr gut" zu bekommen.
Allerdings haben sich die Voraussetzungen geändert. Die Eins in Chemie ist flöten gegangen, und ich kann es nicht wagen, die Eins in Physik aufs Spiel zu setzen. Ich werde also in Chemie schreiben, und wenn ich viel Glück habe, verbessere ich meine Zensur.


Freitag, 2.3.

Gestern habe ich den "Wiederholungsplan" aufgestellt. Er beginnt übermorgen. Mich hat eine große Zeitangst erfaßt - bleiben doch gerade noch sechs Wochen bis zum Schriftlichen, und was muß nicht alles wiederholt werden!


Sonnabend, 3.3.

Meine Faulheit wächst immer noch - oder sollte sich die Frühjahrsmüdigkeit bemerkbar machen?

Heute morgen wollte ich mit dem Bus fahren. Mit einer halben Stunde Verspätung kam er an - allerdings nicht der erwartete große, sondern ein kleinerer, der nur 35 Personen aufnehmen kann. Es warteten aber mehr als 50 Leute. Da konnte man die Höflichkeit der Oberschüler erleben! Bescheiden ließen wir den Werktätigen den Vortritt und fuhren erst um Neun. Dadurch kam ich um eine Klassenarbeit in Kunstgeschichte herum.


Sonntag, 4.3.

Den Wiederholungsplan für heute hatte ich bereits gestern erfüllt.

Als letztes größeres Buch, das ich außerhalb des Abi-Wiederholungsplanes gelesen habe, bewältigte ich heute "Das Erbe Tschingis Chans". Es gibt einen Einblick in die asiatische Geschichte und Kultur.

Mir fiel ein Widerspruch des Sozialismus auf: er will das Glück der Menschheit, aber die Kämpfer für den Sozialismus sollen nicht glücklich sein, der Sozialismus will den Menschen glücklich und zufrieden, der sozialistische Realismus will ihn unzufrieden machen. Man muß also erst unzufrieden werden, ehe man zufrieden wird. Onkel Alfred sagt: "Man mott erscht dumm warden, eh man klauk ward." Was ein Paradoxon ist, das sich hören lassen kann.


Dienstag, 6.3.

Bis jetzt habe ich meinen Wiederholungsplan erfüllt, und das setzt mich in Erstaunen. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte.

Das Wetter hat sich wieder verschlechtert. Sonnenblicke blieben ganz aus. So fällt es mir nicht ganz so schwer, heute abend nicht nach Staßfurt zu einer Kabarettveranstaltung zu fahren.

In der Politik des sozialistischen Lagers tut sich etwas. Man hat den großen Stalin klein gemacht. Marionettenfiguren wie Walter Ulbricht maßen sich an, Stalin zu kritisieren, der doch für die SU und den Sozialismus Bedeutendes geleistet hat. Gestern wurde sein Todestag totgeschwiegen. Das Lenin-Mausoleum soll geschlossen gewesen sein.
Stalin hat, wenn auch nicht immer mit den saubersten Mitteln, als Persönlichkeit vieles geleistet. Ich glaube, ohne ihn gäbe es heute die SU nicht mehr. Jetzt verurteilt man ihn, beraubt damit viele Kommunisten ihres Vorbilds. Was will man erreichen?
Die Linie der Partei scheint sich ziemlich weit nach rechts zu biegen. Wenn nicht bald ein paar radikale Kommunisten das Ruder ergreifen, muß man wohl am Kommunismus zweifeln. Von Marx' Programm im "Kommunistischen Manifest" ist wenig übrig geblieben. Wir werden sehen. Vielleicht wird durch diese Maßnahmen erreicht, daß der nächste Krieg noch um ein paar Jahre aufgeschoben wird und der Sozialismus für die nächsten Jahrhunderte illusorisch wird.
Und warum ist man gegen den Personenkult? Nun, gegen den Personenkult sind, glaube ich, alle, die selbst weder Persönlichkeiten werden können noch sich einem anderen Willen unterordnen wollen. Und doch: ist nicht das Genie des einzelnen mindestens ebenso an der Entwicklung der Gesellschaft beteiligt wie die Masse? Warum soll nicht der wirklich Große eine Ausnahmestellung genießen?


Donnerstag, 8.3.

Heute vormittag Erdkundearbeit. Ich habe sie wohl verhauen.
Wenn ich den Plan wie bisher einhalte und speziell die Abiturthemen bzw. Schwerpunktgebiete bearbeite, glaube ich hinzukommen. Wenn wir's nur erst hinter uns hätten!

Wir brauchen morgen erst zwei Stunden später zur Schule zu kommen. Herr Benkenstein ist zu einer Sportlehrerversammlung.

Heute fand eine Feier zum Frauentag statt, verbunden mit einer Mozart-Gedenkstunde. Der Gegensatz zwischen Kampflied und Mozart-Chorgesang war stark.


Sonnabend, 10.3.

Gestern und heute hatten wir ein Erlebnis, das mir bewies, daß doch diejenigen Recht haben, die sagen: Bei uns in der DDR ist nicht alles so, wie es sein sollte; aber wenn jeder sich bemüht, das Richtige zu tun und das Falsche zu kritisieren, können wir den Sozialismus erreichen.
Es begab sich aber folgendes:

Gestern besuchte ich Öhme und wir spielten Skat, bis gegen abend Hoppel kam. Dann gingen wir zum Turnen und tobten uns aus. Gegen Viertel Neun erschienen Masche, Hemmi und der Lange. Sie waren zum Chemiekurs in der Volkshochschule gewesen, wir waren schon seit halb Acht in der Turnhalle. Um 9 Uhr war offiziell Schluß. Wir spielten dann noch in der dunklen Sporthalle. Fliege und Öhme gingen indes voraus zu Klingsch, um bei der Tanzstunde zuzusehen.
Nach einer halben Stunde zogen wir auch los. Hemmi und Hirschi wollten nicht mitkommen, und so waren wir fünf Mann, als wir vor der Tür von Klingsch ankamen. Auf dem Weg hatten wir uns schon darüber unterhalten, daß wir eventuell den Saal räumen müßten, wenn man uns nicht gutwillig hineinließe.
Wie erstaunten wir, als wir zwei Körper von den Stufen der Treppe zur Gastwirtschaft stolpern sahen und in dem einen Freund Öhme erkannten.
Der andere war ein Betrunkener, der Öhme am Kragen gepackt hielt und ihn aufforderte: "Komm mit! Komm mit!"
Öhme meinte: "Brauche ich nicht! Lassen Sie mich los!"
Als der andere ihn an die gegenüberliegende Mauer stieß, rief Öhme: "Langer, halte den doch mal fest! Der will mich schlagen!" Dann hob er die Fäuste in Verteidigungsstellung, schlug aber nicht zu, sondern stritt sich weiter. Wir versuchten die beiden zu beruhigen. Vor allem dem Langen ist es zu danken, daß es zu keiner Schlägerei kam. Die herumstehenden Mädchen meinten: "Wenn das ein GST-Funktionär ist, dann haben wir einen Grund, nicht einzutreten."
Endlich waren die beiden getrennt und wir erfuhren die Ursache der Auseinandersetzung.
Öhme hatte bei Klingsch im Flur auf seine Freundin gewartet, als ein paar Mitglieder der Kreisleitung der FDJ erschienen. Einer, den Öhme kannte, fragte ihn, warum er den Kragen hochgeschlagen habe. Öhme meinte, aus demselben Grund, aus dem der Fragende einen Pullover anhabe: weil es kalt sei. Die beiden unterhielten sich dann noch ein Weilchen, bis einer aus der Tür auf Öhme zugestürzt kam und, wohl ziemlich vom Alkohol benebelt, sagte: "Du bekommst kein Helles. Du dummes Kind mußt nach Hause. Zeig doch mal deinen Ausweis!"
Öhme meinte, er brauche seinen Ausweis nur der Polizei zu zeigen. Daraufhin meinte der andere, er sei von der Kripo. Öhme: "Dann zeigen Sie doch bitte Ihre Marke!" Die hatte er angeblich nicht mit. Statt dessen zeigte er den Funktionärsausweis der GST. Öhme lachte ihn aus. Da wurde der Funktionär wütend, packte Öhme am Kragen und forderte ihn auf, zur Polizei mitzukommen. Schließlich stieß er ihn die Treppe hinunter, und dann kamen wir.
Ehe die beiden sich schließlich trennten, hatte Öhme sich für heute zu einer Aussprache in der FDJ-Kreisleitung angekündigt.

Beim Nachhausefahren hatte ich einige Ideen. (Wenn man müde und allein auf dem Fahrrad sitzt, kommen sie ja meistens.) Für mich war es klar, daß ich bei der Auseinandersetzung dabei sein mußte.
Heute vormittag machten wir aus, daß wir zu viert hingehen wollten: Home als Ankläger, der Lange und Hoppel als Zeugen mit dem besten Diskussionsvermögen, ich als Zeuge und Zuhörer.
In der Englischstunde schrieb ich dann die Vergehen auf, deren sich der Angeklagte schuldig gemacht hatte, sowie die Folgen, die sein Handeln hatte.

Hier die Abschrift des Zettels:

Anpöbelung in öffentlichem Lokal.
Anmaßung von Amtsgewalt.
Tätlicher Angriff.
Beschädigung der Kleidung.
Bedrohung.
Beleidigung.
War er betrunken oder nicht?
Wenn ja, beschämend für Jugendorganisation, besonders für Funktionär.
Wenn nein, wiegen übrige Vergehen um so schwerer.
Öhme kann mindestens mündliche Entschuldigung fordern, sowie
Entschädigung für zerrissene Joppe.
Evtl. bezahlter Agent amerikanischer Geheimdienste, der bewußt Ansehen der FDJ schädigt?

Gleich nach der Schule machten wir uns auf den Weg. Als wir ins Haus der Kreisleitung kamen, sahen wir unseren "Freund". Er schien über unser Erscheinen nicht sehr erfreut zu sein. Er hatte vielleicht angenommen, daß überhaupt niemand käme. Und daß gleich vier kamen, regte ihn so auf, daß er uns anschrie: "Was wollt ihr denn alle hier?"
Der Lange meinte: "Wir waren gestern abend dabei und haben alles gesehen. Es ist wohl besser, wenn wir jetzt auch wieder dabei sind."
Und Hoppel und ich murmelten: "Es ist besser so."
Der Funktionär hatte noch einige dienstliche Angelegenheiten zu erledigen und zog sie bewußt in die Länge. Vielleicht wollte er uns nervös machen. Bei mir erreichte er das Gegenteil: anfangs hatte ich etwas Angst, als ich aber merkte, wie er "schwamm", wurde ich zusehends zuversichtlicher.
Endlich konnte er die Aussprache nicht länger hinauszögern. Wir wurden ins Zimmer des 1. Sekretärs gebeten. Dieser, ein Mann von mächtigem Wuchs mit gewaltigem Nacken, empfing uns freundlich, besonders als er erfuhr, daß wir bereits mit Direktor Kerber, einem guten Bekannten von ihm, gesprochen hatten. Der Lange und ich hatten das für zweckmäßig gehalten.
Zuerst erzählten der Lange und Öhme den Hergang, dann der Beschuldigte. Er hatte sich seinen Bericht einigermaßen glaubhaft zurechtgelegt. Wäre Öhme allein erschienen, hätte Aussage gegen Aussage gestanden, und es wäre um seine Sache schlecht bestellt gewesen. So aber konnten wir ihn fast Punkt für Punkt der Lüge überführen. Er verwickelte sich immer mehr in Widersprüche. Schließlich mußte er zugeben, daß er betrunken gewesen war und sich unbefugt Polizeirechte angemaßt hatte. Er bat schließlich um Entschuldigung, ohne jedoch alle Fehler zuzugeben. Der 1. Sekretär benahm sich tadellos. Als er sah, daß wir im Recht waren, machte er dem Funktionär ernstliche Vorhaltungen und meinte, an Öhmes Stelle hätte er ihn zusammengeschlagen und der Beschuldigte müsse sich bedanken, daß wir es nicht getan hätten.
Wir brachten noch einige Argumente und Schlußfolgerungen an: Öhme sprach von Rowdymethoden, der Lange davon, daß Trunkenheit nicht vor Strafe schütze, Hoppel brachte bei den passenden Gelegenheiten die passenden Sätze an, ich sprach von Moral, Verantwortungsbewußtsein und Vorbildwirkung eines FDJ-Funktionärs und über schlechte Werbemethoden für die GST. Dann schieden wir im allseitigen Einvernehmen.
Wenn ich jetzt daran denke, wie der eifrige Funktionär zum Schluß auf dem Sofa saß und mit welcher Miene er uns zum Abschied die Hand gab, wackelt unwillkürlich das Zwerchfell.

Ich hoffe nur, man hat uns kein Theater vorgegaukelt.


Montag, 12.3.

Heute morgen schrieben wir eine Klassenarbeit in Gegenwartskunde. Eine Frage lautete: Wie stehe ich zur Verteidigung der Heimat? Ich schrieb, wie ich darüber denke.

Mit meinen Wiederholungsarbeiten bin ich ziemlich auf dem laufenden. Mal sehen, ob ich noch die paar Wochen durchhalte.

Montag, 12.3.

Dienstag, 13.3.
Zur ersten Stunde waren heute nur zwei Drittel der Klasse anwesend; das andere Drittel hatte angenommen, die Stunde fiele aus.
In der zweiten Stunde kam "Opa" Rasch hereingestürzt und ordnete eine Klassenarbeit an, ohne sich auf irgendwelche Einwände einzulassen,. Wir waren mehr verblüfft als alles andere, so unerwartet kam diese Arbeit und so unerwartet der Zorn Opas.
In der dritten und vierten Stunde sollten wir dann eine Russischarbeit schreiben. Da es nun einmal zur Schulordnung gehört, daß nicht zwei Arbeiten an einem Tag geschrieben werden, wurde heftig protestiert. Wir rührten keine Feder an, bis Fräulein Leopold uns versprach, die Arbeit nicht zu werten.
Weil wir in der Mathestunde ohnehin nicht zur Mitarbeit zu bewegen waren, erzählte uns Fräulein Ciesilski etwas über ihr Studium. Ich bin nur froh, daß ich kein mathematisches Fach gewählt habe.
Gestern abend waren die Eltern zum Klassenelternabend in Staßfurt.
Soeben hörte ich, daß Bierut, der Vorsitzende der polnischen Arbeiterpartei, gestern abend in Moskau verstarb. Morgen soll in London eine internationale Abrüstungskonferenz stattfinden. Hoffentlich wird sie von Erfolg gekrönt.

Mittwoch, 14.3.

Heute hatten wir das letzte mal beim Direktor Geschichtsunterricht. Schade. Er ist der einzige Lehrer, der mir hätte helfen können, ein einheitliches Weltbild zu gewinnen. So werde ich wohl noch etwas länger um eine endgültige Weltanschauung ringen müssen.

Heute wiederholte ich das Gebiet "Aufklärung".


15.3.1956
Beschluß des Ministerrates der DDR
"Über die Aufgaben und den Aufbau der Mittelschulen in der DDR"


Donnerstag, 15.3.

Endlich erhielten wir unseren Aufsatz zurück ("Die Vermenschlichung...)". Er fiel wider Erwarten gut aus und wurde besser zensiert als alle bisherigen literarischen Produkte. Trotzdem gefällt er mir nicht. Möchte nur mal wissen, wie er zensiert worden wäre, wenn er mir gefiele.
Morgen abend wollte ich eigentlich nicht nach Staßfurt fahren. Nun sah ich aber ein Plakat, das für morgen abend einen Heine-Abend in der Aula unserer Schule ankündigte. Den kann ich natürlich nicht versäumen. Einmal ist Heine einer meiner Lieblingsdichter, zum anderen nehme ich ganz stark an, daß im Heine-Jahr ein Abitur-Aufsatzthema dieser Spottdrossel im deutschen Dichterwald gewidmet sein wird.

Heute habe ich mich in Chemie freiwillig zu einer Prüfung gemeldet. Da ich den Vorsatz schon seit Tagen, fast seit Wochen, verkündet hatte, konnte ich schlecht zurück. Sekundenlang hatte ich vorher eklige Gefühle im Magen. Wenn ich die minutenlang vor dem Abitur habe, der Wichtigkeit dieser Prüfung entsprechend, dürften sich ernstliche Folgen für das Nervensystem daraus ergeben. Auf jeden Fall lohnte der Einsatz: ich erhielt die gewünschte Eins. Jetzt ist der Durchschnitt (3x2 + 2x1) : 5 = 1,6. Wenn die nächste Arbeit gut ausfällt, ich beim Abitur viel Glück habe - - -


Freitag, 16.3.

In der Schule gab's Ärger: trotz größter Anstrengungen erhielt ich nur eine Drei im Sport. Es ist eben nicht jeder veranlagt, große Sprünge zu machen.
Heute in einem Monat beginnt nun das "Schriftliche". Wenn es doch nur erst vorüber wäre!


Sonnabend, 17.3.

Der Heine-Abend war schwach besucht. Nur etwa 100 bis 150 Zuhörer hatten sich eingefunden. Es wurden Gedichte und Daten aus Heines Leben vorgetragen und einige Vertonungen seiner Gedichte gesungen. Die Gedenkstunde dauerte bis halb Zehn.

Die nächste Woche wird gut: am Montag Wandertag, am Dienstag Theater, am Donnerstag fehlt die Hälfte der Jungen (da hab ich die Aussicht, in Erdkunde dranzukommen), am Freitag fallen Stunden, am Sonnabend der gesamte Unterricht aus, und am Sonnabend abend findet der "Schulbums" statt.


Sonntag, 18.3.

Ich erwarte die "Aufklärer". Sie sollen in großer Zahl aus Staßfurt angekommen sein. Mutti hat schnell die Tür zugeschlossen. Mich würde es ja interessieren, was sie vorzubringen haben.


Montag, 19.3.

Die Aufklärer kamen nicht.
So begann ich den "Faust" zu lesen. Einiges verstehe ich ja, aber das meiste wird mir wohl doch verschlossen bleiben.

Heute zum Wandertag besichtigten wir die neue Eisengießerei der NAGEMA. Viel Neues habe ich nicht dazugelernt.


Dienstag, 20.3.

In den Pausen hatte ich mit Hoppel eine heftige Diskussion über Wert oder Unwert des Romans "Neuland unterm Pflug". Er findet den Roman "unanständig" und will ihn weder zum Realismus noch zur Literatur überhaupt rechnen. Auch Hirschi findet dies. Zu einer Einigung sind wir nicht gekommen.


Mittwoch, 21.3.

Gestern verlief alles programmgemäß. Halb Acht war ich bei Polly, wir fuhren mit dem Auto seines Vaters und waren pünktlich im Theater. Über die Aufführung ist wenig zu sagen, vielleicht, daß Lessings Humor zu fein war, um von allen Zuschauern verstanden zu werden, und daß die "Minna" ein Frauenzimmer mit einem gräßlichen Organ war. Wir wünschten uns faule Eier und weiche Tomaten.
Heute erhielten wir die Hiobsbotschaft, daß der Unterricht doch sowohl am Freitag wie auch am Sonnabend stattfindet, daß wir am Freitag eine Chemiearbeit und am Sonnabend einen Klassenaufsatz schreiben, und daß der "Schulbums" bis zum nächsten Mittwoch verschoben und in die Sodafabrik verlegt wird.
Ich muß Erdkunde pauken, denn morgen bin ich wahrscheinlich dran.


Donnerstag, 22.3.

Seit langem habe ich keinen so heiteren Tag wie heute erlebt.
Schon daß nur knapp über die Hälfte unserer Klasse anwesend war, machte den Unterricht zu einer Freude. Meine Erwartung, in Erdkunde geprüft zu werden, erfüllte sich nicht. Dafür erlebten wir den Spaß, wie Herr Kowolik in scheinbar höchster Wut ein Mädchen hinauswarf, das mit einem Umlauf kam, der bereits in unserer Klasse gewesen war. Morgen nachmittag wird eine Kartoffelsammelaktion zur Beschaffung von Saatgut gestartet.
Danach erlebten wir, wie Hirschi mit dem Tafelschwamm eine Fensterscheibe einwarf. Seit Wochen herrscht in unserer Klasse die Unsitte, daß die Jungs sich in den Pausen mit dem Schwamm bewerfen. Herr Beutel meinte auf der Elternversammlung (ohne eine Ahnung von den Schwammkämpfen zu haben), wir machten wohl verspätete Flegeljahre durch.
Hoppel und ich, wir halten uns von den Werfereien fern. Hauptsächlich natürlich wegen unserer Brillen, ein wenig vielleicht auch aus Verstand. Ab und zu versuchen wir, das Geschoss aus dem Verkehr zu ziehen. Heute nun taten wir's, worauf Hirschi eine Schimpfkanonade gegen uns losließ. Kurz darauf klirrte es. Die Freude war allgemein, besonders aber bei Hoppel und mir.

Martin war hier. Wir bereiten uns auf die Klassenarbeiten in Mathe und Chemie vor.


Freitag, 23.3.

Die Chemiearbeit habe ich heute wohl wieder nicht nach Wunsch geschrieben. Betrüblich insofern, als nun die neulich "erkämpfte" Eins weniger Bedeutung hat. Aber diese Art von Arbeiten gefällt mir nicht. Man soll vollkommen aus dem Zusammenhang gelöste Fakten wissen. Da kommt es dann oft vor, daß einige von uns mit Hilfe ihrer Hefte und "Schummelzettel" eine gute Note bekommen. Na ja, sie haben das oft nötig.
Morgen soll ein "freier Aufsatz" geschrieben werden. Bin auf das Thema gespannt.

Das verdammte Wetter (heute ist es nicht mal so schön) liegt mir so in den Knochen, daß ich zu faul bin, irgend etwas zu unternehmen. Wenn diese "Frühlingsgefühle" nur bald vorüber sind. Ich sehe sonst schwarz fürs Abi.

Osterferien sind vom 29.3. (Gründonnerstag) bis zum 9.4. (montags). Eine ziemlich lange Zeit. Da brauche ich vielleicht gar nicht jeden Tag zu lernen.


24.-30.03.1956
3. Parteikonferenz der SED in Berlin beschließt die Direktive für den
zweiten Fünfjahrplan der Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR (1956-1960).
Referat: Walter Ulbricht.
Information der Delegierten über Chruschtschows "Geheimrede".


Sonnabend, 24.3.

Beim Aufsatz hatten wir drei Themen zur Auswahl. Ich wählte "Eine Porträtskizze" und beschrieb Masche.


Nachmittags las ich "Neuland unterm Pflug".


Sonntag, 25.3.

Ich habe mal wieder Nietzsche gelesen. Man verliert dabei den Sinn fürs Wirkliche, glaubt kaum noch an die Zukunft. Da ist "Neuland unterm Pflug" anregender.

In der Zeitung las ich, daß man auf dem Wege zu neuen Erkenntnissen in der Atomtechnik ist. Auf der jetzt stattfindenden III. Parteikonferenz der SED wurde der Bau von Atomkraftwerken, die Automatisierung der Betriebe u.a. beschlossen. Tut man nicht tatsächlich vieles, um das Leben sicherer zu machen? Man kann ja schließlich von einer Regierung nicht verlangen, daß sie die Menschen glücklich macht. Glücklich sein kann man nur aus sich selbst heraus.


Montag, 26.3.

Weil ich morgen Fluraufsicht habe, muß ich etwas früher zur Schule.
Mit meiner Wiederholung ist's übrigens Essig.


Mittwoch, 28.3.

Endlich sind die Bedingungen fürs Sportabitur da. Vielleicht bringe ich's doch auf eine Zwei?


Gründonnerstag, 29.3.

Gestern abend holte ich Masche und Hirschi zum "Schulbums" ab. Die beiden wollten um keinen Preis vor 8 Uhr im Thälmann-Haus erscheinen. Endlich waren wir dann dort. Nach einer ewigen Kunstpause im Garderobenraum begaben wir uns in den Saal - und waren erschüttert ob der gähnenden Leere. Ein kurzer Rundblick ergab, daß zumindest aus unserer Klasse ein hoher Prozentsatz vertreten war.
Wir stellten vier Tische zu einem großen Quadrat zusammen und setzten uns in verhältnismäßig bunter Reihe herum. Außer Masche, Hirschi, Weikel und mir waren alle mit "Frau" erschienen.
Nach und nach füllte sich der Raum. Vor allem erschien die Lehrerschaft. Zu meiner großen Begeisterung kam auch Fräulein Leopold - ich hatte mir fest vorgenommen, ihres formvollendeten Busens wegen einmal mit ihr zu tanzen. Daraus wurde nun leider nichts, und ich tanzte nur mit Fräulein Ciesilski und habe mich mit ihr über Kurzsichtigkeit und Brillen unterhalten.

Heute sprachen wir in der Deutschstunde mit Klassenlehrer Beutel über unsere Ferienpläne und eine Klassenfahrt. Ostsee und Schwerin entfielen, andere Ziele konnten wir nicht gemeinsam besuchen, niemand außer mir wollte nach Dresden fahren. So entschlossen wir uns denn, auf eigene Faust ohne Lehrer nach Schiefergraben zu reisen.

Dann kam die Erdkundestunde, wie erwartet kam ich dran, und, oh Wunder, erhielt eine "Eins". Ob es an meinem guten Anzug, ob es an einer von Seiten Kows für mich gehegten Sympathie lag, oder ob ein guter Genius mir die passenden Antworten eingab - ich weiß es nicht.
Schon beim Unterrichtsbeginn sahen wir, daß er die ganze Stunde lang prüfen würde; und ich wußte, daß ich auf seiner Kandidatenliste stand. Als daher seine Augen suchend im Klassenbuch auf und ab gingen - er hatte schon andere geprüft - knöpfte ich den Sakko zu. Doch seine Augen gingen im Klassenbuch weiter abwärts. Ich knöpfte wieder auf.
Die Sekunden schlichen qualvoll dahin. Mindestens zehnmal hatte ich auf- und wieder zugeknöpft, als er mich aufrief. Dann war die Unruhe fort und ich sprang mit einem Ruck auf. Leises Kichern in der Klasse.
Ich sollte an der Karte verschiedene Flüsse und Seen zeigen. Als ich auf den Großen Salzsee wies und dazu die Erklärung gab, er liege im Staate Utah und es gäbe dort Blei und Zink, sah er mich über die Schulter leicht grinsend an. Ich bezog dies auf eine Uta und blickte beleidigt-herablassend auf ihn herab. Er hatte sich abgewendet und fragte, weil in der Klasse gekichert wurde, ob ich hinter seinem Rücken Grimassen schnitte. Todernst verneinte ich das. Weiter ging die Fragerei. Lauter heilige Städte und Flüsse. Ich erklärte jede Heiligkeit, und als ich dann bei Kairo die Sphinx beschrieb, hatte ich gewonnenes Spiel. Auf seine Frage meinte ich nämlich: Sphinxe seien Figuren mit einem Rumpf vom Löwen und dem Vorderteil einer Frau. Er grinste, die Klasse lachte. Ich bemühte mich, gelassen aus dem Fenster zu schauen. Er meinte, seines Wissens hätte die Sphinx nur einen Menschenkopf. Ich entgegnete, ich dächte, sie wären bis hierher (dabei hielt ich die Hand in die Mitte zwischen Bauchnabel und Brustwarzen) Löwen, darüber Frauen. Die Klasse grölte, haute auf die Bänke, trampelte. Auch Kow konnte sich nur mit Mühe beherrschen, mir fiel es ebenfalls schwer. Dann noch einige Fragen und ich durfte mich setzen.

Beim Fahnenappell wurden die Reiseziele der Klassen bekannt gegeben. Der Lange fragte, ob ich nicht für Geld und gute Worte als Ferienhelfer an die Ostsee fahren würde. Herr Fräsdorf hätte an mich gedacht. Nach kurzem Überleben sage ich zu. Auch Masche würde mitmachen, aber bei ihm ist die Sache noch fraglich. Er hat keine rechte Lust.

In der letzten Stunde in Englisch dann noch eine Kurzarbeit. Leider habe ich einen Fehler gemacht; aber es kann wohl die Zensur nur schwer beeinflussen.

Morgen abend will ich ins Theater, übermorgen ins Kino, Ostermontag abends zur "Sodabude". In der nächsten Woche werde ich dann hoffentlich neben Arbeiten fürs Abi auch dazu kommen, mein Rad gründlich zu reparieren und neu zu lackieren.


Ostersonntag, 1.4.

In Staßfurt traf ich den Langen und fuhr mit ihm zum Kino. Dort standen gerade Hirschi und Masche nach Karten an ("Papa, Mama, Katrin und ich"). Der Lange überredete sie, als Ferienhelfer mit an die Ostsee zu kommen.
Da ich nicht wußte, was ich von Vier bis zur Abendvorstellung um Acht anfangen sollte, sah ich mir den Film "Brot, Liebe und Fantasie" an, mit Gina Lollobrigida und Vittorio de Sica. Beide Filme gefielen mir sehr gut.

Vorhin machte ich den Versuch, den Mathematikstoff der 11. Klasse zu wiederholen. Mit Schrecken ist festzustellen, daß das einst vorhandene Verständnis für Differentiation und Integration fast vollständig verschwunden ist. Wenn ich nur nicht ins Mündliche komme! Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, als ich bisher bedacht habe, denn die Zensur ist sehr wacklig. Mathe, Gegenwartskunde und Russisch könnten manchen Wunschtraum zerstören, ja, sie könnte zum Alptraum werden wie einst der 1000-Meter-Lauf und der Kopfsprung vom 3-Meter-Brett. Diese drei Fächer könnten in meiner Großhirnrinde den Platz von Erdkunde einnehmen. Dieses Fach ist jetzt auf einen Platz zwischen Furcht und Hoffnung gerückt.


Mittwoch, 4.4.

Martin war gestern hier. Er wiederholt den Prüfungsstoff vormittags und nachmittags nach Zeit. Masche trifft man auch stets beim Lernen an. Nur ich faulenze (ich glaube aber, Hirschi auch).


Donnerstag, 5.4.

Heute vormittag schrieb ich Stichworte zu einigen Abiturthemen (Chemie) des vorigen Jahres auf, ich hatte schon gestern damit begonnen. Danach las ich etwas über Heine.
Für die Osterferien hatte ich mir so viel vorgenommen, aber das Lernen wurde sehr nachlässig betrieben, und aus den anderen Vorhaben wurde nichts.

In der Zeitung war von einer Rede des Schulministers Lange zu lesen, in der er u.a. auch das "schablonenhafte" und reglementierte Prüfungswesen kritisiert. Vielleicht fällt das Abitur flach?


Sonntag, 8.4.

Am Freitag war ich in Staßfurt und ging mit Masche einkaufen. Erst eine Fahrradlampe (wir stellten zu spät fest, daß eine wichtige Schraube fehlte). Dann Flickenstoff für meine Knickerbocker. Im dritten Geschäft glaubte ich den passenden Stoff gefunden zu haben. Zu Hause wurde offenbar, daß das optische Gedächtnis mich im Stich gelassen hatte.
Mit Hirschi gingen wir ins Kino "Union" (furchtbares Publikum) und sahen "Clochemerle". Der Film war köstlich. Von der ersten Szene an zum Lachen. Dann ging's im Laufschritt zur Turnhalle. Es war erbärmlich kalt.

Gestern früh waren wir zur freiwilligen Chemiestunde bei Herrn Schwarzendorfer.


Montag, 9.4.

Gestern abend traf ich bei Klingsch ein paar Bekannte. Stinnes kam mit Carla. Er war mit Heinz in Berlin gewesen, Heinz zur Aufnahmeprüfung bei der DEFA in Babelsberg. Von 500 Bewerbern wurden nur zehn angenommen! Stinnes muß, bevor er Innenarchitektur studieren kann, ein Jahr praktisch arbeiten (Maurer, Tapezierer, Zimmermann). Wird ihm nicht leicht fallen! Aber ich nehme an, er geht nach dem Westen.

Heute hat die Schule wieder begonnen. Genaueres über das Abi ist noch nicht bekannt.

Wir bekamen die Aufsätze zurück. Meine Charakteristik Masches war immerhin eine Eins wert. Der Vergleich mit Masches Arbeit ergab, daß ich ihn gut durchschaut habe. Ich las auch Martins Aufsatz über mich. Er hat mich wohl treffend so beschrieben, wie ich im Umgang mit ihm und anderen erscheine.


Dienstag, 10.4.

Nun ist das Abitur schon so nahe gerückt, daß es daneben nichts anderes von Bedeutung mehr gibt. Immer und überall steht es im Mittelpunkt aller Gespräche und Gedanken. Man mag sich noch so sehr um Ablenkung bemühen: lange kann man nicht an anderes denken.
Nicht nur wir bekommen Lampenfieber - in verstärktem Maße ist es bei manchen Lehrern zu verspüren. Heute bekam selbst Herr Beutel, der die Lage stets ruhig zu meistern versteht, einen Wutanfall, weil jemand in einer Liste statt eines Namens drei Kreuze gezeichnet hatte. Freilich auf den ersten Blick eine Unverschämtheit. Später stellte es sich dann heraus, daß die Kreuze infolge eines Irrtums entstanden waren. Es ist kennzeichnend für Herrn Beutel, daß er uns durch die Blume um Verzeihung dafür bat, daß er in Aufregung geraten war - in einer Situation, in der andere Lehrer mit Ordnungsstrafen gewütet hätten und tagelang ungenießbar gewesen wären.

Martin passierte ein Mißgeschick. Er hatte ein Spiel Karten mitgebracht, um mit mir "Klack" zu spielen. Hirschi wollte aber Skat spielen. Martin hatte ein Null ouvert, wir diskutierten noch, ob und wie und warum wir hätten gewinnen können, als Herr Fräsdorf hereinkam und die Karten konfiszierte. Peinlich.
Eine Russischarbeit war auch fällig. Nicht besonders schwierig.


Mittwoch, 11.4.

Das Abitur rückt immer näher, das Wetter wird immer schöner, mein Arbeitseifer schrumpft immer mehr. Was soll das Arbeiten auch jetzt, fünf Minuten vor Toresschluß, noch helfen? Zwar ist nicht das Menschenmöglichste getan, ganz und gar nicht! - aber immerhin das Notwendige. Wie schön wird die Woche nach dem Schriftlichen sein! Wie schön erst die erste Ferienwoche!

Heute bekamen wir die Chemiearbeit zurück. Wie erwartet nur eine Zwei. Damit dürfte die Zwei in der Vorschlagszensur feststehen, höchstwahrscheinlich auch im Endzeugnis - wenn nicht alles schief geht.
Im Geschichtsunterricht beendeten wir die Diskussion mit Herrn Fräsdorf über den Personenkult. Zu einem vernünftigen Ergebnis sind wir nicht gekommen.

Unsere Klassenfahrt geht nach Chossewitz, einem kleinen Nest an der Oder, weitab von jedem menschlichen Verkehr. Das wird ein Balsam für die Nerven sein, die dann sicherlich einer Auffrischung bedürfen.

Heute werde ich mal wieder recht wenig tun. Allerdings fällt mir soeben ein, daß ich in Chemie eventuell noch einmal geprüft werde - die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering.

Es ist möglich, daß am Montag Deutsch, am Dienstag Mathe, am Mittwoch Russisch und schon am Donnerstag Chemie geschrieben wird.


Warum gibt es noch Nationen?

Stalin (der ja inzwischen etwas überholt ist) meinte, die Nation sei "... eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in Kulturgemeinschaft offenbarenden psychischen Eigenart..." Nur das Vorhandensein aller Merkmale zusammen ergibt eine Nation.
Wenn dem so ist (und da Stalin es sagte, als er noch nicht vom Personenkultwahnsinn befallen war, muß es ja stimmen), wäre der Beweis der Nichtexistenz von Nationen selbst von einem Laien zu führen.
Nehmen wir die Sprachgemeinschaft. In Deutschland spricht man etwa 300 Dialekte und gleichzeitig von einer Nation; arabische Dialekte soll es noch mehr geben, und doch gibt es ein arabisches Volk. Schweiz!
Im Gegensatz zu dieser Verschiedenheit der Sprachen in einer Nation gibt es die Gleichheit der Sprache in verschiedenen Nationen: USA und England.
Die Einheit des Territoriums ist auch nicht bei allen Nationen gewährleistet: England bietet das typischste Beispiel. In aller Welt finden sich Engländer, die in ihrem Wohnsitz ihre Heimat sehen, und die es demjenigen schwer verübeln würden, der ihnen die englische Nationalität bestreitet.
Und kann man in der gegebenen Lage von einer Einheit des deutschen Territoriums reden? Und redet man nicht dauernd von der deutschen Nation?
Was nun das Wirtschaftleben betrifft, so ist wohl schon seit Jahrzehnten von einer Gemeinschaft, die sich nur auf eine Nation erstreckt, nicht mehr zu reden. Das kapitalistische Wirtschaftsleben ist ja gerade durch die internationale Verflechtung der Monopole gekennzeichnet. Und in der sozialistischen Wirtschaft beginnt sich eine Koordinierung der Wirtschafspläne abzuzeichnen, die vielversprechend ist.
Über die Kulturgemeinschaft zu reden, scheint mir fast müßig. Ist denn nicht alle wahre Kultur zum Besitz der ganzen Menschheit geworden? Ist nicht die sogen. Nationalkultur nur durch Einfluß fremder Kulturen entstanden (Goethe, Shakespeare)? Sind nicht Bachs Werke in aller Welt ebenso bekannt wie Tschaikowskis? Und soll uns ein Werk Schillers nur deshalb wertvoller als eins von Turgenjew erscheinen, weil Schiller Deutscher war?

Einem Geschichtsforscher des 21. Jh. mag das jetzige Eingebildetsein auf Nationenzugehörigkeit in dem selben Lichte erscheinen, wie uns die Anschauungen des Spießers von anno dazumal, der stolz darauf war, ein Bayer oder ein Coburger zu sein - Anschauungen, die schon Herder bekämpfte.

Muß nicht die Einteilung der Menschheit in Nationen dazu führen, daß Menschen jeder Nation sich für anders - und natürlich besser - als Menschen anderer Nationen halten? Müssen daraus nicht jene Gefühle erwachsen, die zum Chauvinismus führen?

Im Zeitalter der Düsenflugzeuge, des Radios und Fernsehens, der Atomkraftwerke und der Weltraumflüge redet man von Nationen! Warum? Wozu braucht man sie? Man hat die Menschen für gleich und frei erklärt, man hat den Glauben verdrängt und die Wissenschaft auf seinen Platz gestellt, man hat die Gesetze der Natur und der Gesellschaft erkannt und wendet sie zum Nutzen der Menschheit an - und redet von Nationen. Rühmt das Verdienst einzelner Nationen bei der Erreichung dieser Ziele. Als ob die französische Nation mehr Anteil an Curies Entdeckungen hat als die Wissenschaftler anderer Länder.

Schafft doch die Nationen aus der Welt, schafft ein gemeinsames Wirtschaftsorgan, eine gemeinsame Bildung aller Menschen im völkerverbindenden Sinne, reißt die Grenzen nieder!
Die Völker werden sich schon zu verständigen wissen. Zwischen ihnen hat es nie Haß gegeben, wenn er nicht durch daran interessierte Mächte suggeriert wurde.

Warum warten, bis die ganze Welt kommunistisch ist? Wer weiß, wie lange das noch dauert. Mögen doch die sozialistischen Länder mit der Vereinigung beginnen - nichts wird dem Frieden der Welt dienlicher sein.

* * *


Freitag, 13.4.

Endlich stehen die Prüfungstermine fest - wenn nicht "von oben" Durchführungsbestimmungen kommen, die anders verfügen. In acht Tagen um diese Zeit haben wir es hinter uns!
Im Turnunterricht trainierten wir die Übungen. Obwohl sie verhältnismäßig leicht sind, werde ich es doch nur bis zur Drei schaffen. Schade!

Wir hatten zum letzten mal Mathe. Hoffentlich geht da alles gut.
Englisch fiel aus. Wenn wir Fräulein Wiegand nicht so gut kennen würden, hielten wir sie für menschenfreundlich. So halten wir sie nur für faul. Warum soll man sich aber nicht über die Faulheit eines anderen freuen, wenn damit Freude verbreitet wird?

Von einem Jungen aus der 11. habe ich die beiden mir fehlenden Chemiebücher geborgt.

Meine Schuhe, die ich neulich zum Färben brachte, habe ich jetzt wieder. Sie sehen ganz seltsam aus - der untere breite Rand ist dunkler als der Einsatz.


Sonnabend, 14.4.

Und nun wird's ernst! Heute waren wir zum vorläufig letzten mal zum Unterricht. Was später kommt, ist sowieso unwesentlich.

Nach der Schule war ich noch in der Stadt. Fragte in einem Buchgeschäft nach einer Einführung in die Philosophie Kants und Hegels. Gab's nicht.
In einem anderen Laden kaufte ich "Die Spur des Tigers". Ein Roman aus Japan. Zu Hause angekommen, las ich erst einmal.


Sonntag, 15.4.

An den morgen fälligen Abituraufsatz denke ich zwar ständig, fühle aber recht wenig dabei.
Nun rechnet man bis zum Beginn des schriftlichen Abis nur noch nach Stunden, bis zum Ende schon nicht mehr nach Wochen.

Ich las etwas von Schiller. Beiträge zur Ästhetik oder so ähnlich. Man kommt davon noch vollends durcheinander, und so gab ich's auf. Las dann ein paar Artikel in "Jugend und Technik", vor allem Chemie.
Jetzt überlege ich, ob es zweckmäßig ist, mich noch ein wenig zu ängstigen, ob ich lieber lernen oder nichts tun soll.
Angst ist kein schönes Gefühl, und dazu bleibt noch Zeit, wenn es ans Sterben geht. Lernen bleibt doch zwecklos. Was zu wissen ist, weiß ich im wesentlichen. Ich könnte nur auffrischen, nicht mehr zu neuen Erkenntnissen kommen. Wozu also den Geist ermüden? So werde ich mich denn dem süßen Nichtstun in die Arme werfen. Nachher kommt ohnehin Martin, der mich zu geistiger Anstrengung zwingen wird.

Langsam nehmen die Ferienpläne Gestalt an.
  • Am 1. Juni sollen wir mit dem Abitur fertig sein.
  • Am 9.6. fahren wir ab nach Chossewitz und kommen am 12. wieder nach Hause.
  • Zwischen dem 1. und 9.6. finden wahrscheinlich die Feierlichkeiten für die Abiturienten statt. Einmal jede Klasse für sich, dann alle gemeinsam.
  • Die Fahrt zum Fereinhelfereinsatz nach Zinnowitz beginnt am 3. Juli. Wir Helfer müssen zuvor eine besondere Schulung mitmachen: jeden Dienstag um 17 Uhr. Darüber muß sogar Protokoll geführt werden. Hoffentlich fällt der Abreisetag nicht mit dem Abschlußball zusammen. Das wäre schade.
  • Von der Ostsee kommen wir am 23. Juli zurück.

Bis dahin wissen wir auch schon, ob wir zum Studium zugelassen worden sind oder nicht. Sollten wir angenommen sein, so müssen wir Mitte August zur Immatrikulation.

Zum Geldverdienen wäre also zwischen dem 23. Juli und dem 15. August Zeit. Etwas wenig.

Sollte ich zum Studium nicht angenommen werden - und mit dieser Möglichkeit muß ja ebenso wie mit der anderen gerechnet werden - muß ich in den Ferien eine Stelle suchen.
Wohin ich mich dann bewerbe weiß ich allerdings noch nicht. Ob ich versuche, Politik zu studieren, ob ich doch den Familientraditionen folge und Lehrer werde, ob ich irgendwo mich als Hilfsarbeiter einstellen lasse, das ist noch nicht entschieden. Kommt Zeit, kommt Rat! Inschallah!


Montag, 16.4.

Den ersten, wenn auch nicht schwersten Teil der Prüfung haben wir hinter uns.
Zuerst hörten wir eine Ansprache in der Aula, in der wir auf die Gefährlichkeit von Täuschungsmanövern hingewiesen wurden. Dann erhielten wir die Themen und durften noch etwas darüber sprechen.
Die Aufsdatzthemen:

    1. "Ein jeglicher muß seinen Helden wählen" (J. W. Goethe)
    2. Anhand des Gedichts "Enfant perdu. Heines Leben und Wirken im Exil.
    3. "Keine Regierung und keine Bataillone können für Recht und Freiheit sorgen, wenn nicht der Bürger vor die Tür tritt und für Ruhe und Ordnung sorgt.>/a>" (Gottfried Keller)
    Ich wählte nach einigem Überlegen Thema 1 und schrieb über Heine. Mit mir Martin und noch zwei Mann. Thema 3 wurde nur von einem behandelt. Eine halbe Stunde vor Schluß war ich fertig und ging zum Kino.
    Auf Weisung von oben schreiben wir die Mathearbeit morgen.


Dienstag, 17.4.

Nun haben wir bereits die erste, wichtigere und leichtere Hälfte des Schriftlichen hinter uns.
Morgen ist schulfrei. Wir können uns mit Herrn Schwarzendorfer auf das Chemie-Abitur vorbereiten.

Heute früh ließ ich mich überreden, mit dem Bus zu fahren. Von Viertel bis fünf Minuten nach Dreiviertel Sieben stand ich dann im nieselnden Regen an der Haltestelle und der Bus kam nicht. Zum Glück nahm uns (etwa 15 Wartende) ein Lastwagen mit. Von Stern-Radio bis zur Schule mußte ich dann laufen. Es schneite. Meine Erkältung nahm zu.
Trotzdem waren meine Gedanken bei der Mathearbeit noch einigermaßen klar, und ich glaube, die Arbeit hat hingehauen.

Heute werde ich mich erholen. Vielleicht lese ich noch ein wenig Karl May.

- Eben fällt mir ein, daß ich in der Arbeit vielleicht doch Unsinn geschrieben habe. Wir sollten jeden Schritt erklären. Ich tat dies, recht umständlich, wo es ging. Die erste Aufgabe war die Berechnung des Weges, den Nansens "Fram" im Eismeer zurücklegte. Zum Schluß schrieb ich in eine Klammer: "Anmerkung: Da das Meer die gestellten Bedingungen nicht erfüllte, mußte Nansen mit einem Begleiter das Schiff verlassen, um näher an den Pol zu kommen. Das Schiff lief mit etwa einem Jahr Verspätung am Ziel ein, Nansen erreichte zur gleichen Zeit per pedes bewohnte Gebiete." Hoffentlich verstehen die Korrektoren Spaß!


Mittwoch, 18.4.

Heute morgen fuhren wir mit dem Bus nach Staßfurt, mixten im Chemiebunker herum, hörten uns einen Schwarzendorferschen Vortrag an und fuhren mit dem Zug nach Hause.

Übermorgen um diese Zeit (halb Eins) werden wir's dann überstanden haben.


Donnerstag, 19.4.

Nun liegt auch die Russischarbeit hinter uns. Für eine Übersetzung hatten wir zwei, für eine Nacherzählung drei Stunden Zeit. Die Übersetzung war nicht so schwer, wie wir angenommen hatten. Aber bei der Nacherzählung kapitulierten einige.
Ich hoffe in beiden Arbeiten eine Zwei zu bekommen und deshalb vom Mündlichen befreit zu werden.

Die Tatsache, mitten im Abi zu stehen, kommt mir durch den Schnupfen gar nicht so recht zum Bewußtsein. Er scheint ins Gehirn gedrungen zu sein und dort zu rumoren.

Das Schriftliche ist morgen zu Ende. Ich überlege noch, wie ich morgen zur Schule komme. Abends will ich zum Turnen. Ob ich anschließend zur Tanzstunde gehe, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Schnupfen, Wetter, Laune, Freunden usw.

Nachher wollen wir Chemie pauken: Martin, Heinz und ich. Viel Zweck hat's ja kaum, aber dem guten Gewissen ist's förderlich und dienlich. Herr Schwarzendorfer meinte heute, die Themen, oder vielmehr das Thema - denn er wählt aus - wäre "so!". Da kann man ja mit etwas Hoffnung hingehen.


Sonnabend, 21.4.

Gestern früh beschloß ich, mir zum Abschluß des Abis noch ein wenig Angst zu leisten. Sonderbarerweise dauerte es auch gar nicht lange, bis sich das bekannte unangenehme Gefühl in der Magengrube einstellte.
Wir trafen uns in der Aula. Dort wurden den Biologen und den Chemikern die Themen bekanntgegeben. Die Biologen erhielten ein Thema, mit dem sie nicht gerechnet und auf das sie sich nicht vorbereitet hatten.
Wir waren über unser Thema erstaunt: "Die Bedeutung der chemischen Forschung und Produktion für unsere Volkswirtschaft". So allgemein hatten wir es nicht erwartet.
Am meisten erstaunt war ich aber darüber, daß eines der drei Themen, aus denen Herr Schwarzendorfer ausgewählt hatte, das Aluminium zum Gegenstand hatte. Ich hatte ihn nämlich am Mittwoch gefragt, ob man sich auf das Thema vorbereiten sollte, und er hatte gemeint, wir sollten es nicht tun, Aluminium sei noch nie ein Thema gewesen.
Mit der Zeit kamen wir nur knapp aus. Meinen Schummelzettel sah ich mir zwar auf dem Klo an, aber bis ich über den Hof und die Treppen wieder im Klassenraum war, hatte ich alles vergessen.
Nach der Arbeit herrschte allgemeine Freude. Auch die Geographen hatten "ihr" Thema, auf das sie sich spezialisiert hatten, erhalten: Erdöl.

Wir erfuhren, daß Weikel und Hoppel von der Leipziger Universität eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten haben. Nun begann natürlich das Rätselraten: warum, weshalb, wieso?

In der Stadt fand zu Ehren des 10-jährigen Bestehens der SED ein Fackelzug statt. Für die Oberschule war Teilnahme Pflicht, nur wir Abiturienten brauchten nicht mitzufackeln.

Unser Jahrgang hat im Laufe der Jahre viel Glück gehabt!
  • Im 7. Schuljahr brauchten wir noch keine Prüfung abzulegen - unsere Nachfolger mußten's.

  • Die Prüfungen der 8. waren nicht besonders schwer.
  • Die Prüfung zur Mittleren Reife bestand nur aus schriftlichen Arbeiten - die Klasse nach uns mußte eine umfangreiche mündliche und schriftliche Prüfung ablegen.
  • In der 11. Klasse gab es auch nur ein paar schriftliche Arbeiten - die Klasse vor uns hatte eine mündliche Prüfung zu bestehen.
  • Und jetzt sind wir der erste Jahrgang, in der unsere Lehrer die Prüfungsfragen auswählen dürfen.
Allerdings hat es die jetzige 10. in der Mittleren Reife leichter: wer die Oberschule weiterbesucht, darf keine Prüfung machen, wer abgehen will, kann es tun.


Sonntag, 22.4.

Gestern waren wir Kino - Hemmi, Hirschi, Masche und ich. Der Film "Straßenlieder" war ganz nett.
Anschließend wollten Hirschi und ich zur Sodafabrik. Leider war alles still und leer. Wir gingen dann auf Umwegen zu Klingsch. Bei Klingsch verlangte man noch Eintrittsgeld. Wir gingen also weiter ins "Schloßcafé". Dort tranken wir ein Bier und schoben wieder los. Bei Klingsch wollte man immer noch Eintrittsgeld, also gingen wir weiter - bei Mondschein an der überschwemmten Bode entlang. Wir dehnten den Spaziergang nicht allzu sehr aus und ich fuhr mit dem Rad nach Hause.


Montag, 23.4.

Morgen abend Elternversammlung mit Chorgesang, am Sonnabend abend Theater.

Wegen der Zulassung zum Studium bekomme ich allmählich Befürchtungen. Fast alle haben schon irgendeinen Bescheid erhalten - außer Hirschi, Masche, Hemmi, Öhme und mir.
Aber in dieser Woche werde ich mich um Abitur und Studium wenig kümmern. Noch sind es bis zum Mündlichen ja mehr als vier Wochen. Wer weiß, ob ich überhaupt in mehreren Fächern geprüft werde.


Dienstag, 24.4.

Am Freitag findet in der Schule ein Aussprachenachmittag statt. Man soll seine Fragen schriftlich formuliert in einen Briefkasten werden. Ich werde nach Nation - Heimat - Interzonenverkehr fragen.

Heute nachmittag hatten wir die erste Ferienhelferschulung bei Stern-Radio - wir sollen singen und tanzen lernen!


Mittwoch, 25.4.

Heute kam endlich der ersehnte Bescheid von der Uni. Ich war schon zum 6.4. bestellt worden, aber die Post hatte mich anscheinend nicht gefunden. Ich soll am nächsten Montag hinkommen. Nachmittags war ich noch einmal in Staßfurt, um einen Reisegenossen zu finden. Koko hat auch zum Montag eine Einladung nach Leipzig.
Hirschi und Masche haben noch keinen Bescheid erhalten.

Wir haben uns ein Mittel der ausgleichenden Gerechtigkeit ausgedacht: wer von uns dreien im Mündlichen in den meisten Fächern geprüft wird, erhält von den beiden anderen "Über die Liebe" von Stendhal.


Donnerstag, 26.4.

Die Reise nach Leipzig beschäftigt mich sehr. Was man bei diesen "Aussprachen" eigentlich will, werden wir ja morgen von Hoppel erfahren. Mit der Zugverbindung klappt nicht alles nach Wunsch.


Freitag, 27.4.

Hoppel erzählte erschröckliche Geschichten über das, wonach man ihn gefragt hat. Wenn man von ihm als einem Chemiestudenten in spe schon solch umfangreiches Allgemeinwissen verlangt, was wird man wohl von mir mit dem Studienwunsch Journalistik erwarten?

Aus dem geplanten Turn- und Tanzstundenbesuch wird heute abend ebenso wenig etwas wie aus Konzert oder Kino. Stattdessen fahre ich nach F.stedt zur Polizei wegen einer Fahrpreisermäßigung (mal sehen, ob sich die Bahn beschummeln läßt).


Sonnabend, 28.4.

In F.stedt bekam ich einen Stempel unter den Antrag auf Fahrpreisermäßigung. Hemmi und Öhme erhielten in Staßfurt keinen.

Herr Fräsdorf mußte uns zu unserem und seinem Bedauern erklären, daß er uns nicht sagen dürfe, wer in welchem Fach geprüft würde.

Im Augenblick lese ich Gerhard Hauptmanns "Buch der Leidenschaft".


Sonntag, 29.4.

Gestern nachmittag fuhren Martin und ich fünf Minuten nach Fünf mit dem Bus nach Staßfurt. Weil wir bei Hirschi noch Skat spielten, kamen wir ziemlich spät ins Theater. Das Stück selbst war, musikalisch gesehen, mäßig. Vielleicht muß aber eine moderne Operette so sein? Vom komischen Standpunkt aus war es ganz nett. Die Lehrerschaft verließ nach dem 2. Akt den Saal.

Nach dem Theater brachten wir erst mal Masche nach Hause. Dann begleiteten Fliege und ich Hirschi bis zur "Bergschenke". Wir suchten dann das "Haus der Jugend" auf. Entsetzt vom Gestank und von den anwesenden Weib- und Männlichkeiten verließen wir fluchtartig das Lokal und gingen zum "Staßfurter Hof". Auch dort war's sehr voll. Auf dem Rückweg trafen wir Öhme. Er überredete uns, noch einmal zum "Haus der Jugend" zu laufen. Auch er war vom Anblick überwältigt.


Montag, 30,4.

Fahrt nach Leipzig.

Staßfurter Bahnhof, abends

Heute früh begann's schon vielversprechend: als ich aus der Haustür trat, regnete es. Glücklicherweise fuhr der Bus nach F.stedt pünktlich und als ich auf dem Bahnhof ankam, regnete es nicht mehr.
Koko war da, zusammen stiegen wir in den Doppelstockwagen, erwägend, was uns wohl erwarte.
Auch der Zug war wider Erwarten pünktlich, allerdings sehr voll - wir mußten bis Halle stehen.
Während der Reise fiel mir auf, daß die Strecke Schönebeck-Köthen elektrifiziert wird; daß in Calbe/Ost kein einziger Schornstein im Eisenhüttenwerk rauchte; daß es in der Saaleniederung sehr viel Hochwasser gibt; und daß die Leipziger Tieflandbucht noch flacher als die Börde ist.

In Leipzig fanden wir den Nicolaikirchhof verhältnismäßig schnell. Ich mußte in das Franz-Mehring-Institut. Ein Briefträger beschreib uns den Weg.
Nachdem ich im Eilschritt eine unendliche Anzahl Stufen erklommen hatte - der Beratungsraum lag in der 4. Etage - war ich ganz außer Atem durch einen Vorraum in ein Sekretariat geeilt. Dort sagte man mir, ich solle mich in den Vorraum setzen. Das war nun nicht so leicht, weil alle Stühle bereits besetzt waren. Es herrschte Grabesstille und dauerte endlos lange, bis die Hineingerufenen wieder erschienen. Das Schlimmste: sie sagten nicht, wie's ihnen ergangen war.
Kurz bevor ich aufgerufen wurde, erzählte ein Mädchen ihren ebenfalls wartenden Bekannten etwas über die Aussprache. Ich entnahm daraus nicht viel Gutes.
Meine Gefühle waren überhaupt nicht gerade die besten. Die lange Wartezeit hatte mich nervös gemacht. Dreimal hatte ich einige der vor mir liegenden Exemplare der Zeitschrift "Sowjetunion" durchgeblättert und gelesen. Zwischendurch beschäftigte ich mich damit, die Mitwartenden zu mustern.

Endlich rief man mich hinein. Die ersten Worte zeigten, ich keine Aussicht habe, Journalist zu werden. "Keep smiling!" sagte ich mir. Es fiel schwer, nach diesem Magenschlag an ungeschützte Stelle.
Man schlug mir vor, Gesellschaftswissenschaft zu studieren und gab mir 14 Tage Bedenkzeit.
Wenigstens das Fahrgeld erhielt ich teilweise (20,- von 26,- DM) zurück.

In Auerbachs Keller schrieb ich vier Ansichtskarten, eine davon an mich selbst. Anschließend verbrachte ich dann einige Zeit mit dem Suchen eines Postamtes und ging ins Zeitkino unter dem Hauptbahnhof.
Auf dem Bahnhof traf ich Jürgen. Er hatte anscheinend mehr Glück als ich gehabt.
Um nicht zu Hause den ganzen Abend über die Zukunft beraten zu müssen, fuhr ich nach Staßfurt zum Fackelzug.

Allein im Zug von Staßfurt nach F.stedt.

Der Fackelzug fand nicht statt. Ich ging zu Masche und mit ihm zu Hirschi und war einigermaßen erstaunt über die Wirkung, die mein Bericht auf Frau Hirschberg und die beiden hatte. Schließlich saßen wir bei Hirschbergs fest, und ich mußte das Gespräch, das ich zu Hause vermeiden wollte, doch über mich ergehen lassen.


Dienstag, 1. Mai

Nun ist schon wieder fast ein Tag vergangen, seit ich die Hiobsbotschaft empfing. Das Leben geht weiter. Wer's erfährt, ist erstaunt, entrüstet oder freut sich darüber, daß mein Glaube an die DDR und den Fortschritt einen Schlag erhalten hat.
Vor der Maidemonstration benachrichtigte ich Direktor Kerber über die Aussprache in Leipzig. Er meinte, ich solle mich in Halle um einen Studienplatz an der Juristischen Fakultät bewerben.
Ich habe verschiedene Pläne. Morgen gehe ich zum Redakteur der Volksstimme und hole mir bei ihm Rat. Vielleicht werde ich nach einem Jahr praktischer Arbeit bei der Presse zum Studium zugelassen.

Wir wollen Karten für morgen abend ("Der Onkel aus Amerika)" holen.


Mittwoch, 2.5.

Bei der Turnprüfung hatten wir gütige Punktrichter. Ich glaube, es hat zur Zwei gereicht.

Den Brief nach Halle wegen der Bewerbung zum Jurastudium habe ich Direktor Kerber noch nicht schreiben lassen. Erst will ich mich bei der Volksstimme erkundigen, ob ich dort ein Jahr arbeiten kann. Es wäre mit am liebsten, wenn ich nach einem Praktikum mit Bestimmtheit zur Uni käme. Heute war der Redakteur in Leipzig, morgen werde ich ihn sprechen können.


Donnerstag, 03.5.

Heute nachmittag wollten wir für Masche ein Radio kaufen. Leider bekamen wir keins in der gewünschten Preislage.

Um Vier war ich bei der Volksstimme, sprach mit dem Chefredakteur Skubowius (seinen Namen habe ich dreimal gefragt, ob er richtig geschrieben ist, weiß ich nicht.) Er war ähnlich erstaunt wie Direktor Kerber, daß man mich nicht angenommen hat. Am Sonnabend will er nach Magdeburg in die Bezirksredaktion. Er spricht dort mit dem Kaderleiter über meinen Fall. Ich erfahre dann am Montag früh, ob ich ein Jahr bei der Volksstimme arbeiten kann.
Wenn daraus nichts wird, bitte ich Herrn Kerber, einen Brief zwecks Unterstützung der Bewerbung zum Jurastudium zu schreiben. Den Brief nach Leipzig, die Absage, muß ich auch noch verfassen. Dazu meinen Lebenslauf.


Sonnabend, 5.5.

Gestern begann ich die "Darstellung meiner Entwicklung" und faßte dabei den Vorsatz, bewußt ein falsches Bild von mir zu gestalten. Heute werde ich diesen Vorsatz ausführen.

Nach der Schule holte ich vom Radiogeschäft Wiest die Infrarotlampe ab. Als wir ausprobierten, funktionierte sie nicht. Ich glaube kaum, daß sie beim Transport beschädigt wurde.


Dienstag, 8. Mai. Tag der Befreiung

Gestern vormittag erhielt ich den Brief von der Volksstimme. Es besteht die Möglichkeit eines Vorpraktikums, ich muß jedoch erst Unterlagen einsenden, um zu erfahren, ob für sie mich nehmen. Ich bereitete also zu Hause die Unterlagen vor und fuhr nach Staßfurt, weil ich vom Schulsekretariat ein gesellschaftliches Führungszeugnis und die Bestätigung des Zeugnisses der 11. Klasse brauchte. Frau Flügel, die Schulsekretärin, hatte mir versprochen, bis Vier in der Schule zu sein. Sie war aber schon fort. Nun verzögert sich alles um zwei kostbare Tage.

Ich ging ins Kino ("Der Vagabund"). Als ich auf der Straße Fanfaren schmettern hörte, verließ ich die Vorstellung, ohne das Ende des Streifens abzuwarten. Auf der Straße traf ich Öhme. Vorsichtig pirschten wir uns an den in Erwartung des Fackelzuges stehenden Menschenhaufen heran, bemüht, von den Lehrern nicht gesehen zu werden und jemanden aus unserer Klasse zu erspähen. Beides mißlang: aus unserer Klasse war niemand dort, und als wir den Rückzug antreten wollten, kam der Direktor und beauftragte uns, Fackeln zu verteilen. Das war leicht gesagt, aber es dauerte mindestens eine Viertel Stunde, ehe ich sie los war. Zwei habe ich mit nach Hause gebracht. Auf der Bodebrücke drückten wir uns aus dem Demonstrationszug und bummelten über den Jahrmarkt.


Mittwoch, 9.5.

Nachmittags hörten wir einen Vortrag von Dr. Lyncke über Geschlechtskrankheiten. Es konnte einem schlecht dabei werden, und ein Jüngling mußte tatsächlich für ein paar Minuten den Raum verlassen, um sich zu erholen. Nun werde ich auf der Straße beim Anblick von Menschen daran denken, daß jeder Zehnte von ihnen an einer Geschlechtskrankheit leidet.

Heute konnte ich die Beurteilung der FDJ lesen und weiß nun, dass ich ein guter Mensch und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft bin.


Himmelfahrt, Donnerstag, 10.5.

Gestern las ich in Karl Julius Webers "Demokritos" die Kapitel über die Liebe.


Freitag, 11.5.

Heute hatten wir zum letzten mal geregelten Unterricht. Morgen wird verkündet, wer in welchen Fächern ins mündliche Abitur kommt. In der nächsten Woche wird jeder nur noch in "seinen" Prüfungsfächern unterrichtet.
Also noch vier mal zur Schule, und dann sind jene vier Jahre vorüber, die so endlos schienen, als sie vor mir lagen.

Gestern nachmittag war ich bei Hirschi. Er steckte in moralischen Reisevorbereitungen - heute ist er nach Leipzig zum Aufnahmegespräch gefahren. Er war ziemlich trübsinnig und machte sich wohl Gedanken über seine Zukunft. Jetzt wird er wahrscheinlich klarer sehen.

Im

letzten Sportunterricht trainierten wir für die Leichtathletikprüfung, die wahrscheinlich am nächsten Donnerstag stattfinden wird.

Weil heute die schriftliche Mittlere-Reife-Prüfung begann und der Deutsch-Aufsatz ausgerechnet in unserem Klassenraum geschrieben wurde, mußten wir in den Physikraum.

Enttäuscht war ich, als wir die Kandidaten für die Gegenwartskundeprüfung erfuhren. Herr Paul zeigte uns die Namen, da er sie uns nicht nennen durfte. Ich war nicht dabei. Das bedeutet: ich werde in Geschichte geprüft. Und ich hatte mich so fest darauf verlassen, daß die Zensur in Geschichte gesichert sei und mich bisher noch gar nicht auf eine Geschichtsprüfung vorbereitet.


Sonnabend, 12.5.

Das Ergebnis der gestrigen Lehrerkonferenz ist enttäuschend: hatte ich doch nicht daran geglaubt, in drei Fächern geprüft zu werden und noch dazu in Chemie, Russisch und Geschichte. Na ja, auch das wird überstanden. Immerhin habe ich nun einen Anspruch auf Stendhals "Über die Liebe", denn Masche und Hirschi werden nur in zwei Fächern geprüft. Masche in Geschichte und Englisch, Hirschi in Geschichte und Erdkunde.
Der Lange und Ocker haben das meiste Glück gehabt, sie gehen nur in die Gegenwartskunde- bzw. Englischprüfung. Heinz und Öhme hatten Pech. Öhme muß sich in vier, Heinz sogar in fünf Fächern prüfen lassen. Martin hat auch drei Prüfungen vor sich - Geschichte und Chemie wie ich und dazu Mathe.
Langsam werde ich mit dem Wiederholen beginnen müssen. Heute will ich erst einmal den Plan aufstellen und die nötigen Unterlagen herbeischaffen.


Dienstag, 15.5.

Das vorletzte mal im Unterricht!
Mit Wonne zählen wir die Stunden, bei mir mischt sich auch etwas Wehmut drein.
Nach dem Unterricht war ich mit Martin zum "Haus der Intelligenz". Wir wollten einen Raum für unsere Abschlußfeier bestellen. Das wird wohl nichts werden. Es soll etwas Kultur dabei sein, und wir beide können nicht garantieren, daß niemand randaliert.

Von der Juristischen Fakultät kam eine Einladung nach Leipzig. Ich habe schon geflucht: jetzt, inmitten der Vorbereitungen zum Abi, einen Tag zu verlieren. Eigentlich hatte ich gehofft, meine Bewerbung werde kurzerhand abgelehnt. Das Jahr bei der Volksstimme hätte ich ganz gern gemacht. So viel liegt mir nicht an der Gerechtigkeit, auch wenn sie durch die jüngsten Regierungsbeschlüsse bei uns zu neuer Blüte gedeihen soll. Mir ist's jedenfalls egal, ob ich das Eignungsgespräch bestehe oder nicht.


Mittwoch, 16.5.

Heute hatten wir nun zum allerletzten mal Unterricht, wenn auch nicht gerade geregelten. Zwei Stunden lang spielten wir auf dem Schulhof Skat.

Öhme und Hemmi waren gestern in Greiz. Auch dort Überfüllung.

Mit dem Jurastudium habe ich mich inzwischen abgefunden. Aber trotzdem gehe ich morgen zur Volksstimme.
Die Vorbereitungsarbeiten für das Abi sind geplant, ich bin zu faul, überplanmäßig zu wirken.
Am Dienstag (Turnprüfung) findet eine Theatervorstellung statt, die wir natürlich nicht besuchen können.
Am Mittwoch wird dann das vielbekakelte Jugendforum veranstaltet. Leider werde ich der Prüfung wegen auch daran nicht teilnehmen können. Fast ebenso leid tut es mir, daß ich morgen abend einen Vortrag über Argentinien nicht besuchen kann.
Dafür werden wir nach der Prüfung umso aktiver sein: am 22. ist ein großer Bunter Abend bei Klingsch, am 30. eine Theatervorstellung, in der selben bzw. darauf folgenden Woche unser "Klassen-Bums". Bis jetzt ist weder Termin noch Lokal festgelegt. Auch die Frauenfrage ist meiner Meinung nach nicht ordentlich gelöst. Denn schließlich: von 20 Jünglingen können drei nicht tanzen, von neun Mägdelein zwei nicht. Macht 17:7 Tanzkünstler. Was machen die zehn Überzähligen? Mich interessiert's besonders, weil ich auch dazugehöre.

Am 5.6. fahren wir dann los nach Chossewitz. Ob die acht Tage eine reine Freude werden, ist fraglich. Aber man muß Optimist sein.


Donnerstag, 17.5.

Meinen Wiederholungsplan habe ich erfüllt.

Wir waren zu einer Buchausstellung. Das weckt den Wunsch nach Geld, um Bücher kaufen zu können.

Bevor ich die Chemievorbereitungen von Hoppel holte, war ich in der Volksstimme. Meine Lage ist ziemlich kompliziert. Eine Zusage für ein Praktikum konnte ich nicht erhalten. Man machte mir jedoch Hoffnungen, nach einem Vorpraktikum käme ich bestimmt zur Uni. Auf diese Hoffnung hin kann ich aber morgen nicht meine Bewerbung zum Jurastudium zurückziehen, denn erstens weiß ich nicht, ob ich überhaupt bei der Volksstimme ankomme, und zweitens ist es auch fraglich, ob ich dann im nächsten Jahr zum Journalistikstudium zugelassen werde. So werde ich mich also bei den Juristen so benehmen, als hätte ich den großen Wunsch, die Rechtswissenschaft zu studieren, und anschließend werde ich zur Journalistischen Fakultät fahren und Erkundigungen in meiner Angelegenheit einholen. In etwa acht Tagen bekomme ich Bescheid von der Volksstimme. Wenn es eine Zusage ist, dann sage ich Jura ab.
Schwer gestaunt habe ich, wie Herr Skubowius bemüht war, mir zu helfen. Obwohl im Urlaub und in Vorbereitung aufs Staatsexamen, fand er eine Viertelstunde Zeit für mich, meldete ein dringendes Pressegespräch an und telefonierte auf Staatskosten mit Magdeburg. Einfach enorm. Er gab mir auch den Rat, die Journalistische Fakultät aufzusuchen.


Freitag, 18.5.

Zweite Fahrt nach Leipzig.

Bahnhof Schönebeck

In 20 Minuten fährt der D-Zug. Inzwischen bummelte ich durch Schönebeck. Es ist die alte Industriestadt mit etwas Romantik in der Elbegegend geblieben. Nach langer Zeit war ich mal wieder auf der Elbbrücke. Noch immer fließt der Strom trübe und gemächlich. Ab und zu kommt ein Schleppdampfer. Das Bild stets dasselbe. Diesseits das winklige Hafenviertel, jenseits sieht man die Elbauen und den Wald. Nur der Himmel ist immer ein anderer.
In den Schaufenstern wesentlich mehr Auslagen als z.B. in Staßfurt. Auf dem Markt stand eine große Menschenmenge: es gab Fleisch, anscheinend Freibank.
Der Zug hat Einfahrt. Ich bin froh, daß ich nicht länger auf der schmutzigen Bank zu sitzen brauche.

Leipzig. Im Vorraum der Fakultät.

Zugfahrt bis Halle stehend, dann Sitzplatz. Reisebekanntschaften: keine.

Ich mußte fragen, um mich herzufinden. Wieder findet das Gespräch in einem 4. Stock statt. Fahrstuhl ist zwar da, aber ich kann damit nicht umgehen.
Eben ist ein Junge vor mir dran. Es kann sich also nur noch um Stunden handeln. Einige Beklemmungen habe ich trotz allem.

Im Zug zwischen Dessau und Magdeburg.

Nachdem ich kurze Zeit allein gesessen hatte, kam ein Pärchen. Er verschwand bald wieder, sie knüpfte ein Gespräch mit mir an. Besucht die ABF, hatte sich zur Journalistik beworben und dort so gut wie eine Zusage bekommen. Inzwischen hatte sie die Angelegenheit überlegt und wollte nun zu Jura wechseln. An sich hätten wir tauschen können, aber so einfach war die Sache leider nicht.
Man holte mich rein. Zwei Mann saßen drin und stellte ein regelrechtes Kreuzverhör mit mir an. Sie fühlten mir gründlich auf den politischen Zahn. Was sie nicht alles wissen wollten! Vor allem eine Berufswunschbegründung. Die mißlang mir anscheinend. Dann fragten sie mich über Recht und Eigentum aus, kritisierten den Ausdruck "minderbemittelt" in meinem Lebenslauf und bewiesen haarscharf, daß es erstens in der DDR keine minderbemittelten Menschen gäbe, und daß zweitens zwar Arbeiter und Bauern, aber nicht "Minderbemittelte" eine Bevorzugung genössen.
Auch über die Volksarmee unterhielten wir uns. Ich entwickelte meine Auffassung und erfuhr, daß sie falsch sei. Warum, haben sie mir nicht gesagt und ich weiß es bis jetzt nicht.
Zuguterletzt hielt man mir noch meine große Jugend vor, und auf eine diesbezügliche Frage erfuhr ich, daß zwei Bewerber auf einen Platz kommen. Das Ergebnis des Gesprächs dürfte feststehen.

Im Anschluß an diese unterhaltsame Unterhaltung machte ich mich auf zur Fakultät für Journalistik. Nach einigem Fragen erwischte ich die richtige Straßenbahn, die Schaffnerin wies mich am rechten Platz aus dem Wagen, und mit Hilfe von zwei weiteren Personen fand ich die Tieckstraße.
Dort das richtige Haus zu finden war nicht leicht. Zwar besteht die Straße anscheinende nur aus sechs Häusern, davon gehören aber betrüblicherweise fünf der Fakultät.
Zunächst landete ich im Internat. Dort überraschte ich eine junge Fee beim Treppescheuern. Sie konnte mir keine befriedigende Auskunft über den Sitz des Dekanats geben. Einen Mann, der sich die Zeit damit vertrieb, Kohlen von der Straße in den Keller zu schaffen, zeigte mir das richtige Haus, und als er es nannte, fiel mir ein, daß bereits Herr Skubowius von einem "Haus 2" gesprochen hatte.
In der Pförtnerbude saß ein Staßfurter oder einer, der eine Verwandtschaft oder Bekanntschaft in Staßfurt hat. Gibt es wohl einen bedeutenden Ort, an dem man keinen Staßfurter trifft?
Sich durchzufinden war nicht leicht. Schließlich landete ich im Dekanat. Die Dekaneuse oder wer's sonst war - ich hatte sie gerade bei der Bereitung ihres Mittagskaffees gestört - wollte mich aufziehen. Erst titulierte sie mich Direktor, dann gefiel ihr mein Name nicht. Obwohl sie anschließend vernünftig wurde, konnte sie mir doch keine vernünftige Auskunft geben, und ich zog davon.

An der Journalistenfakultät gibt's ebenso viel hübsche Mädchen, wie im ganzen Rest Leipzigs zusammengenommen. Außerdem liegt das Gebäude fast idyllisch in der Nähe der Rennbahn. Daß ich Journalistik studieren muß, ist klar. Außerdem hat nämlich, und der Faktor ist nicht zu unterschätzen, im Internat ein Irrenarzt seine Praxis.

Nach diesem erfolglosen und doch Hoffnung weckenden Ausflug in den Süden Leipzigs kehrte ich mit der Straßenbahn ins Zentrum zurück. Von dort unternahm ich einen Bummel durch die Geschäftsstraßen, der mich auch bis an die Pforten von Auerbachs Keller führte. Eine Einkehr unterblieb für diesmal.
Ziemlich zerschlagen kam ich zum Bahnhof zurück, kaufte mir eine Zuschlagkarte und begab mich - nach dem vergeblichen Versuch, die Buchausstellung zu finden - ins Zeitkino. Diesmal spielte man "Die böse Hexe", einen recht mittelmäßigen, wenn nicht schlechten sowjetischen Film. Dann "Unbekannte Sahara". Dieser Film entschädigte für den ersten.

Gemächlich begab ich mich zum Bahnsteig und erstaunte ob der gewaltigen Menschenmenge. Böse Ahnungen bemächtigten sich meiner, als ich die Länge des Zuges mit der Zahl der Reisenden in ein Verhältnis zu bringen versuchte. Noch war ich ziemlich ruhig und beschloß, als letzter einzusteigen, um wenigstens einen sicheren Fensterplatz zu haben.
Was sich dann abspielte, läßt sich eigentlich nur mit Zuständen von 1948-49 vergleichen. Die Leute standen und hingen an der Tür, beredeten die drinnen zum Zusammenrücken. Mit vereinten Kräften wurde dann geschoben. Nach und nach leerte sich der Bahnsteig. Einige Tapfere kletterten durch die Fenster. Weil ich den Einstieg einiger junger Mädchen beobachtete, geriet ich vollends ins Hintertreffen. Eine Schaffnerin hätte mich beinahe wegen Beihilfe zum Fensterln - allerdings bei einem Mann - verklagt. Schließlich fuhr der Zug los - die Menschen hingen noch immer in den geöffneten Türen. Mit mir blieben auch andere Leute zurück.
Ich fuhr dann mit dem Bummelzug nach Dessau. Dort hätte ich beinahe den Zug nach Güsten-Aschersleben geschafft. Aber ich wollte das Geld für die Zuschlagkarte zurück haben und verpaßte so die Abfahrt.
Jetzt brause ich über Zerbst-Gommern in Richtung Magdeburg.

Güterglück.

Diese verfluchte Bummeltour hat durchaus keine Reize. Wenn man wenigstens eine nette Reisebekanntschaft hätte. Allein durch die Nacht im Bummelzug - was kann wohl langweiliger sein?


Sonnabend, 18.5.

Nach einigen Stunden war die langweilige Fahrt beendet. Im Magdeburg hatte ich sofort Anschluß nach F.stedt und auch etwas Unterhaltung durch einen Betrunkenen, der sich eifrigst bemühte, ein junges Mädchen zu verführen.

Während der ganzen Fahrt verwunderte ich mich über die Ansichten des werktätigen Volkes. Was die Arbeiter so für Meinungen über ihren Staat, über die Volksarmee, über die Planwirtschaft haben und öffentlich äußern! Und welche Ansichten dagegen die wackeren jungen Männer von der Uni erwarteten und forderten. Man glaubt, in zwei Welten zu leben.

Nachmittags war ich bei Martin. Wir trainierten 100-m-Lauf, Martin 1000 m, ich Kugelstoßen. Es klappte nicht recht. Dann übten wir Hochsprung.


Dienstag, 22.5.

Das Leichtathletikabitur hätten wir hinter uns. Zwar habe ich keine Glanzleistungen erreicht, aber für eine sportliche Niete reicht es (Hochsprung 1,35 m, Kugel 8,41 m, 100 m in 13,6 sec). Horst Mempel hat den Schulrekord im Hochsprung gebrochen (1,65 m).

Meinen Mantel habe ich zur Färben gebracht. In fünf bis sechs Wochen soll er fertig sein.

Mittwoch, 23.5.

Der letzte Akt des Dramas "Oberschule" hat begonnen. Der Vorsitzende der Prüfungskommission hielt eine feierliche Ansprache. Ermutigungen, Warnungen usw.

Nach dem Vortrag half ich Masche beim Englisch-Wiederholen. In der Schule hätte ich gern jemanden gesprochen, der die Prüfung schon hinter sich hat. Hatte aber kein Glück. Alles war mit Lehrern verbaut. Dafür erlinste ich die Chemiethemen, als ich bei Frau Flügel die schriftliche Bestätigung meiner Schulzugehörigkeit zwecks Strandbadjahreskartenverbilligung holen wollte.

Heute nachmittag will ich im Strandbad Geschichte lernen.

Abends.

Im Strandbad war's wieder herrlich. Zuerst setzte ich mich auf meine Bibliothek und wiederholte nach Heft. Dann erschien Toni und rief mich zu seiner Truppe: der Lange, Mecke, Sigrid und Ocker. Gemeinsam lernt es sich doch schwerer.

Martin hat die Geschichtsprüfung geschafft. Er hat es nur auf "Genügend" gebracht. Langsam zeigen sich bei mir Symptome von Prüfungsangst!


Donnerstag, 24.5.

Heute früh war ich doch etwas aufgeregt und das Essen schmeckte nicht so recht. In der Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen: ob die Prüfungsangst oder das gestrige Sonnenbad schuld daran trug?

Während der Fahrt mit dem Rad - ich fuhr allein - wurde mir ganz seltsam in der Magengegend. Ich mochte mich ablenken, wie ich wollte: alle Gedanken drehten sich um Geschichtszahlen und -fakten.
Glücklicherweise brauchte ich nicht lange auf die Prüfung zu warten. In den Vorbereitungsraum ging ich gleichzeitig mit Koko. Mein Thema erhielt ich etwas später als er. Über dieses Thema hatte ich bereits einen Vortrag gehalten. Das hätte ich mir ja fast denken können, hätte es aber wissen müssen.
Fräulein Wiegand holte mich in den Prüfungsraum. Anwesend waren Herr Beutel, Fräulein Wiegand, der Prüfungsvorsitzende Keller, Herr Fräsdorf, Direktor Kerber und ein Mitglied des Elternbeirates. Ich durfte mich setzen und begann über "Die Anfänge der Arbeiterbewegung und die Bedeutung des Kommunistischen Manifests" zu reden. Die Stimme schien mir etwas befremdlich zu klingen.

Von der Volksstimme erhielt ich einen Brief. Ich soll mich in Magdeburg einfinden. Nach der Prüfung wird ja Zeit dafür vorhanden sein.

Masche hat nun endlich seinen Radioapparat, einen "Olympia-Super". Er sagte mir, in der Schule warte schon wieder ein Brief auf mich. Ich hin. Es war der Bescheid von der Juristenfakultät, daß für mich - selbst bei besseren Zensuren - kaum Aussichten beständen, zum Studium zugelassen zu werden. Empfehlung: ich könne Mittelstufenlehrer in Mathe/Physik oder Mathe/Geographie werden, Ingenieurökonomie oder Gesellschaftswissenschaft studieren.


Freitag, 26.5.

Es ist ein schönes Gefühl, die anderen in Angst zu sehen, wenn man selbst erst in einigen Tagen wieder in eine Prüfung gehen muß.

Abends waren wir im Kino. "In gewissen Nächten". Zwar Unsinn, aber zum Lachen.

Meine Wiederholungsarbeiten waren nicht berühmt. Statt dessen arbeitete ich im Garten.
Martin hat die Matheprüfung mit Eins bestanden, damit ist ihm die Eins auf dem Abizeugnis sicher.
Inoffiziell erfuhr ich, daß Heinz "durch" ist.

Ich muß noch einmal zur Volksstimme. Sie wollen einen Tag vorher anrufen, ob der Chef da ist.
Masche hat sein Abi-Soll erfüllt und kann sich jetzt mästen.


Sonntag, 27.5.

In drei Tagen um diese Zeit ist alles vorbei, und eine Reihe glücklicher, sorgenfreier Tage kann beginnen. Vorher freilich heißt's, sich noch mal eine gute Stunde insgesamt zusammenraffen.
In der nächsten Woche habe ich viel vor. Morgen Russischprüfung, Baden und Chemiewiederholung.
Dienstag Chemieprüfung, Volksstimme, Zahnarzt, Ferienhelferschulung, vielleicht abends Klingsch.
Mittwoch Magdeburg, Volksstimme, dann Staßfurt, Verkündung der Prüfungsergebnisse, abends Theater.


Montag, 28.5.

Russisch liegt hinter mir, und geklappt hat's auch, wie Fräulein Leopold zu Toni sagte.

Nachmittags waren wir im Strandbad.

Mal sehen, wie es morgen in der Chemieprüfung laufen wird.
Am Mittwoch sollen wir sämtliche Zensuren erfahren.

Im Augenblick entwerfe ich ein Werbeplakat für Beiträge zur Abizeitung.


Dienstag, 29.5.

Hurra! Es ist geschafft! Und daß ich mit "Sehr gut" bestanden habe, erfuhr ich auch schon!
Heute vormittag fuhr ich schon zeitig zur Schule. Martin, Heinz und Wodjus waren noch nicht da, so daß ich unerwarteterweise schon gegen Zehn in die Prüfung kam. Thema: Kupfer - Herstellung und Ersatzstoffe. Bin ziemlich "geschwommen".
Herr Fräsdorf sagte mir dann auf der Treppe das Ergebnis der Prüfung.

Masche, Hirschi und ich waren nachmittags zur Ferienhelferschulung. Die war diesmal noch langweiliger als gewöhnlich. Das Ferienhelferheft lag bis heute in unberührter Schönheit und Weiße zu unterst im Rollschrank.


Mittwoch, 30.5.

Heute früh fuhr ich gegen 10 los. Der Zug ließ sich Zeit - er langte eine halbe Stunde später als geplant auf dem Magdeburger Hauptbahnhof an.
Meine Bemühungen um Milchfilter und Badehosen waren erfolglos. Hätte ich doch nur im Winter eine Badehose gekauft! Oder ob ich jetzt einen Parallelo erwerbe und ihn zur Badehose umstricken lasse?

Der Kaderleiter der "Volksstimme" ist ein Mann in mittleren Jahren mit ergrauten Haaren, die erst weit hinter der Stirn ansetzen. Er spricht sehr ruhig. Von mir wollte er einige Erläuterungen zum Lebenslauf. Weitere Fragen muß ich auf einem sehr umfangreichen Fragebogen beantworten.

Auf dem Bahnhof setzte ich mich auf den falschen Bahnsteig und verpaßte dadurch den Zug. Durch diese Fahrlässigkeit konnte ich nicht pünktlich zur Bekanntgabe der Zensuren nach Staßfurt kommen.

Von Masche erfuhr ich, daß vier Abiturienten mit "Sehr gut" bestanden haben, einer aus der 10A, einer aus der 12B1 und aus unserer Klasse Hirschi und ich. Hirschi wird enttäuscht sein. Ich war fest überzeugt, er würde "Mit Auszeichnung" abschließen.


Donnerstag, 31.5.

Nachdem ich meine Reisekostenabrechnung bei Herrn Reichel abgeliefert und einige Glückwünsche - deren ich heute eine ganze Anzahl erhielt - empfangen hatte, ließ mich Herr Kerber zu 12 Uhr zu sich bestellen. Er wollte mir die Fragen beantworten, die ich zum Jugendforum gestellt hatte. Mit seinen Antworten bin ich nicht so recht zufrieden.

Meine Briefe an die Uni und an die Volksstimme wurden absendet, den Ruf nach Beiträgen für die Abizeitung heftete ich an die Wandzeitung.

Um 16 Uhr hielt "Opa" (Dr. Rasch) einen Vortrag zur Einführung in die Relativitätstheorie.


Freitag, 01.06.

Rainer kam mit dem Auto und nahm mich mit ins Theater. Die Oper "Carmen" gefiel mir sehr gut.

Heute morgen lieferte ich in der Schule die ausgeliehenen Schulbücher ab.

Nachmittags waren wir wieder zum Vortrag bei Dr. Rasch. Von der Speziellen Relativitätstheorie haben wir nun wenigstens einen Schimmer bekommen.
Anschließend gaben wir dem Doktor das Ehrengeleit. Er will tatsächlich im nächsten Jahr noch unterrichten.


Sonnabend, 2.6.

Zu 10 Uhr will ich nach Staßfurt, Stipendium holen, ein gestern vergessenes Schulbuch abliefern und nach Möglichkeit zu Mittag essen.


Chossewitzer Tagebuch


Chossewitz, Mittwoch, 6.6.56

Nach einem kleinen Spaziergang in die Nachbardörfer sitze ich nun hier im Aufenthaltsraum der Jugendherberge "Raimonde Dien" im bequemen Klubsessel am Fenster und will die Ereignisse seit gestern früh aufzeichnen.

Beim Wecken war ich wie üblich nicht gerade erfreut, und erst die Aussicht auf die Reise ermunterte mich ein wenig. Der "Affe" war schon am Vortag gepackt, und Punkt fünf Uhr stand ich feldmarschmäßig ausgerüstet an der Kirche. Einige Dorfbewohner konnten es nicht unterlassen, über die Urlaubsreise zu lästern. Sie meinten, ich solle lieber Rüben krauten. Aber dazu ist ja schließlich im Winter noch Zeit.
Das Wetter war schön, im Gegensatz zur amtlichen Wettervorhersage. Der Zug war pünktlich, im Gegensatz zu unseren Erwartungen. Die angenehmen Überraschungen hatten begonnen.

Im Zug wurde selbstverständlich der traditionelle Skat gespielt.
In Magdeburg konnten wir uns ausruhen bis der Schnellzug kam.
Im Schnellzug war ausreichend Platz. Ohne Aufenthalt ging es bis Berlin, d.h. in oder bei Schönefeld trat eine Fahrtunterbrechung ein. Eigentlich ist an solcher Fahrt gar nicht Besonderes, obgleich ich sonst immer davon träume. Es mag wohl auch auf die Gesellschaft ankommen. Ein Skat bleibt derselbe, ob er nun im Zimmer oder im Abteil gespielt wird - nur verlor ich im Zug etwas häufiger.
Im Speisewagen gab man mir für eine Bierflasche zwei Pfandscheine, so dass ich gleich zu einer Erinnerung von Wert kam.
In Berlin stiegen wir auf dem Ostbahnhof aus, hatten aber nur wenig Zeit, so daß wir zwar von der Straße aus den Anblick des Bahnhofs, sonst aber nichts genießen konnten.
Mit der S-Bahn ging's dann bis Königswusterhausen. Leichte Regenschauer weckten Befürchtungen. Pessimistische Gedanken über unser Reiseziel wurden laut. Wir erwarteten eine Erdhöhle mit brummigem Herbergsvater in einer menschenleeren Einöde.

Königswusterhausen scheint außer den Anlagen des Deutschlandsenders keine bemerkenswerten Einrichtungen zu besitzen, und Hemmi, mit dem ich durch die Stadt zog, um eine Badehose zu kaufen, bekam schon jetzt Heimweh, wenn er daran dachte, daß er hier einige Jahre auf einer Schule verbringen soll.

Nach einigem Warten erschien der Zug in Richtung Frankfurt. Die Bänke waren zwar etwas unbequem, aber immerhin war schlecht gesessen besser als gut gestanden.
Der Lange unternahm einen Annäherungsversuch an eine spröde Schöne im Nachbarabteil, der trotz meiner moralischen Unterstützung nicht von Erfolg gekrönt war. Beschämt zogen wir uns zurück.
In Gruno mußten wir dann erneut umsteigen. Ein alter Stahlhelm ergab einen würdigen Rahmen für ein Porträtfoto. Den Rest der Zeit verbrachten wir teils liegend, teils fußballspielend, je nach Phlegma.
Endlich kam der Zug. Wieder war ausreichend Platz vorhanden, und wir begannen Pläne zur Eroberung eines passenden Zimmers zu schmieden. Der Lange sollte vorausgeschickt werden und sechs Betten reservieren.
In Weichersdorf war dann Endstation. In Erwartung eines 6 km langen Marsches mit Gepäck und bei Regen wurde uns das Herz schwer. Als Ablenkung erwies sich ein Fußballspiel, bei dem Marlies und ihr Seelenfrieden leicht beschädigt wurden.
Ein Traktorist der MTS brachte uns dann zu unserem Ziel, woran man wieder mal sieht, daß doch nicht alle Einrichtungen der DDR zu verachten sind.

Als wir das Gebäude der Jugendherberge auftauchen sahen, wurde uns wohler, denn eine Erdhöhle ist's durchaus nicht, und der Herbergsvater ist ein netter Mann. Die Räume sind hell, die Betten geräumig. In unmittelbarer Nähe liegen der Chossewitzer See und ein Sportplatz.

Als erstes mußten wir selbstverständlich baden, und da merkten wir, daß auch dieses Paradies seine Teufel hat: die Mücken sind sehr durstig, und Blut aus der Börde scheint ihnen besonders zu gefallen.

Beim Abendessen schnurrte ich mir einige Nahrungsmittel zusammen. Ich hatte meinen Magen unterschätzt gehabt.

Die Nacht war ruhig. Zwar wälzte sich über mir der Lange oder Hirschi, aber das konnte mich wenig stören.
Vogelgezwitscher und Martin weckten uns. Gegen 7 Uhr standen wir auf, badeten und speisten.
Nach dem unvermeidbaren Fahnenappell marschierten wir in die Dörfer, Essen zu holen. In Groß Muckrow fanden wir Bäckerei und Konsum und konnten uns dort verproviantieren. Im Dorf hätte es beinahe einen Aufstand gegeben, weil wir den Laden fast leer kauften. Mit Broten, Nudeln, Marmelade, Margarine u.a. nützlichen Dingen beladen zogen wir heimwärts. Unter Herrn Beutels Führung kürzte eine Gruppe von vier Mann - Masche, Hoppel und ich - den Weg ab. Herrn Beutels Rüstigkeit ist zu bewundern.

Indes die Mädchen sich um unser leibliches Wohl bemühten, wurde wieder gebadet und Fußball gespielt.
Das Essen - Makkaroni und Tomatensoße - war gelungen. Ich zeichnete mich wieder mal durch übermäßige Gefräßigkeit aus, die diesmal aber dadurch bedingt war, daß Hirschi eine große zweite Portion für mich anforderte und Carla diesen Wünsche erfüllte. Jetzt bin ich im Verdauen begriffen, indes draußen das Tischtennisturnier stattfindet. Demnächst werde ich mit Masche einen Gang wagen.

Heute nachmittag haben wir nichts vor. Leider hat sich der anfangs blaue Himmel bedeckt, so daß aus einem Sonnenbad nichts wird. Für ein Wasserbad bin ich noch zu träge.


Chossewitz, Donnerstag 7.6.56


Unweit der Jugendherberge schickt eine Quelle ihr Wasser in den See. Der Quellteich ist etwa 20 m vom See entfernt und liegt etwa einen Meter höher.
Gestern begannen Martin und Hemmi als künftige Architekten einen Dammbau. Lange konnte ich nicht widerstehen, ich half mit. Später beteiligte sich dann auch Wodjus. Das Ergebnis war ein sprudelnder, murmelnder Quell mit klarem, trinkbarem Wasser, der die Bewunderung fast aller erregte.
Heute morgen mußten wir dichten - die gestern errichteten Dämme hielten das Wasser nicht. Einmal bei der Arbeit, wurden Stauseen angelegt, Wasserfälle erzeugt, und als Krönung des Ganzen ein Wasserrad gebastelt. Was haben wir mit Schlamm, Sand, Wurzelgeflecht, Grasnarbe und Kieselsteinen gewirkt! Indes spielten die anderen Fußball oder Tischtennis.

Das Mittagessen, Kartoffelsalat mit Spiegelei, war wieder vorzüglich, und langsam sehe ich ein, daß meine Skepsis unbegründet war - viele Köche scheinen doch nicht immer den Brei zu verderben.

Mit Hemmi schwamm ich über den See - die kürzeste Strecke, Masche schwamm mit Hirschi - die längste Strecke. Anschließend halfen wir, das Boot der Jugendherberge instand zu setzen. Mit dem Langen und Rolf paddelte ich los - d.h. sie paddelten, ich saß auf dem Rücksitz und schaukelte das Boot.


Chossewitz, Freitag, 8.6.56


Gegen Abend kam ein Brotauto und versorgte die Herberge mit Nahrungsmitteln. Nach dem Abendessen wollten wir noch die Abendluft genießen, sahen aber bald die Unmöglichkeit ein - die Mücken ließen uns einfach keine Ruhe. So setzten wir uns in den Aufenthaltsraum und spielten eine fröhliche Runde "Klack" oder "Bollefotzki", wie Weikel das Spiel nennt. Nach hartem Kampf siegte Ocker vor mir.

Heute morgen wären wir alle am liebsten noch im Bett geblieben. Das Wetter war gar nicht freundlich. Wir spielten "Klack" und Skat, bis aus der Küche der Ruf erschallte, es würden Lebensmittel fürs Mittagessen benötigt. Bei Regen und Wind wurde ich auf einem Damenrad nach "Mücklin" (Muckrow) delegiert. Die Wege sind nicht gerade angenehm.

Inzwischen war eine Vertreterin des Bezirkes hier und hat herumgemeckert.

Der Milchreis schmeckte ausgezeichnet, und ich aß ziemlich viel. Von jetzt ab muß ich mittags noch mehr essen, da mein Geld und meine Nahrungsmittel für das Abendessen auf die Neige gehen.

Nachmittags waren wir in Mücklin einkaufen. Stinnes, Polly und Carla blieben in der Jugendherberge.
Das Wetter hat sich etwas gebessert. Kahnfahrten sind wieder imgange.


Chossewitz, Sonnabend, 9.6.56


Gestern abend kam es noch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern, als den badenden Jungs ihre Sachen fortgenommen wurden - auch die am Ufer liegenden Badehosen. Schreckliche Racheschwüre wurden geschworen, kamen jedoch nicht zur Ausführung.

Hirschi und ich lasen indes Heinrich Mann - er "Im Schlaraffenland", ich den "Blauen Engel".

Heute früh war das Wetter sehr mäßig. Da Stinnes - auch "Old Wabbelin" oder "Graf Sülze" genannt - durch nichts zu einem Marsch nach Mücklin zu bewegen war, wurden der Lange und Ernstel delegiert. Wir brauchten notwendig Marmelade. Jürgen - der gestern zwei Tore schoß! - holte indes gemeinsam mit Fliege Suppengrün vom Erholungsheim am anderen Seeende.

Die Kartoffelsuppe war wohlgeraten. Wohl hauptsächlich, weil wir uns alle am Kartoffelschälen beteiligt hatten - das erste mal, daß ich rohe Kartoffeln zu schälen genötigt war. Während vor dem Mittagessen Skat und Klack gespielt wurde, entwarf ich die Abizeitung. Leider gelang das nicht zufriedenstellend.

Nach einer kurzen Nachmittagsrast im Bett - weil der Herbergsvater es wünscht, muß geplant werden, und weil wir nichts anderes zu planen haben, planen wird den Mittagsschlaf - begab sich der männliche Teil der Gesellschaft auf eine Exkursion ins Schlaubetal.
Zunächst war alles in schönster Ordnung: Luft rein, Boden trocken, Himmel nur leicht bewölkt. Bald bereuten wir vorsichtigen Trainingsanzugträger unsere Vorsicht, denn nun mußten wir die Trainingsjacken in der Hand tragen.
Nach und nach sammelte sich um uns ein Schwarm Dasselfliegen, hartnäckig und blutrünstig. Am meisten hatten sie's auf Herrn Beutel abgesehen, aber auch wir anderen mußten tüchtig um uns schlagen, um die Angriffe abzuwehren. Dabei hat Masche wohl seine Uhr herausgeschleudert. Er merkte den Verlust während unserer ersten Rast an der Kieselwitzer Mühle, der zweiten Mühle auf unserer Tour. Er und Hirschi kehrten um und wollten die Uhr suchen. Wir anderen zogen weiter durchs Schlaubetal. Über uns und hinter uns sammelten sich bedrohlich die Wolken, und ein Rollen in unserem Rücken ließ uns im Ungewissen über seinen eigentlichen Charakter. War's ein Geschützdonner oder ein richtiger Donner?
Auf Herrn Beutels Vorschlag, lieber beizeiten umzukehren, gingen wir leichtsinnig und voller Selbstvertrauen nicht ein. Als wir nachher in kleine Gruppen verstreut unter Bäumen standen, bereuten wir das. Es ist doch ein anderes um den Donner in der Stube, oder den Donner in einem düsteren Tal, vielfach gebrochen und schauerlich rollend.
Der Lange als Blitzableiter und halbnackt, Jürgen, Hoppel und ich hatten uns unter einen kleinen Eichbaum geflüchtet, waren aber bald durchnäßt. Den anderen erging es nicht viel besser, außer Heinz und Ernstel, die Herr Beutel mit seiner Pelerine schützte.
Nach dem ersten Gewitter gingen wir weiter zur Schlaubemühle. Eine Gruppe blieb dort zum Teetrinken, die andere wanderte zurück in Richtung Heimat.
Auf der Hälfte des Weges überraschte uns dann ein zweites Gewitter. Während wir vom ersten Trupp unsere letzten trockenen Stellen unter Bäumen trocken zu halten versuchten, kamen die vom Verfolgertrupp angesaust, vollkommen durchnäßt. Bei Hemmi hatte sich der Trainingsanzug deutlich verkürzt.
In der Herberge angekommen, legten wir uns erst einmal ins Bett. Masche und Hirschi kamen etwas später von erfolgloser Suche zurück.

Das Wetter ist immer noch nicht besser geworden. Wir sitzen jetzt herum und warten auf das Abendbrot.
Morgen wollen wir eine Suchaktion starten. Hoffentlich ist sie von Erfolg gekrönt.
Die Mädchen haben für morgen Kuchen gebacken. Die Hälfte wurde ihnen wohl schon geraubt, nur ich war leider nicht unter den Räubern.


Chossewitz, Sonntag, 10.6.

Leider hatten den Kuchen nicht unsere Mädchen, sondern die Herbergsmutter gebacken - nicht für uns. Wir mußten uns mit Marmeladestullen begnügen.

Nach dem Kaffee startete die Suchaktion. Sie gestaltete sich aber mehr zu einer Solidaritätskundgebung für Masche. Trotz unserer hochgespannten Hoffnungen, trotz eifrigsten Suchens fanden wir die Uhr nicht.

Mittags gab es Kartoffelbrei mit Gulasch. Daß das Essen gut geraten war, muß ich nicht extra erwähnen.

Das Wetter ist immer noch schlecht. Trotzdem unternahmen wir eine Kahnfahrt: Hirschi, der Lange und ich.
Neuerdings schlafe ich im Bett im ersten Stock neben Hirschi. Rolf hat auf sein Recht verzichtet, den Schlafplatz zu wechseln. Gestern abend gab's schon eine Rauferei zwischen Polly, Hirschi und mir. Der Lange hatte den Vorteil davon: er griff sich eine zusätzliche Decke.

Nach der Wasserfahrt saßen wir im Aufenthaltsraum und unterhielten uns.

Jetzt wollen wir noch an der Abizeitung dichten. Der Abend gestern war in dieser Beziehung recht fruchtbar.


A.dorf, Mittwoch, 13.6.56.

Die Tage in Chossewitz waren sehr schön - viel schöner als erwartet. Unsere Abizeitung wuchs.
Gestern, zum Tag des Lehrers, wollte ich ursprünglich beim Kaffeetrinken Herrn Beutel ein Rede halten. Leider hatten wir den Brotverbrauch nicht geregelt, so reichte es nicht, es wurde kein Kaffee getrunken und keine Rede gehalten.

Ein Lastwagen der MTS brachte uns nach Weichensdorf. Die Zuganschlüsse klappten, die Zeit vertrieben wir uns mit Skatspielen.
Unseren Aufenthalt in Berlin - von 9 bis 13 Uhr - verlebten wir ganz nach Belieben. Die weitaus meisten suchten den Westsektor auf.
Mit Weikel, Koko, Hemmi und Hirschi ging ich zunächst zur Stalinallee. Im ersten Augenblick gefiel sie mir nicht recht. Nach und nach konnte ich mich aber dem Eindruck des Hellen, Großzügigen nicht entziehen.
Mit der U-Bahn fuhren wir zum Bahnhof Zoo, bummelten, Autos betrachtend, über den Ku-Damm und besuchten das KaDeWe. Mein Anblick - unrasiert, mit kaputten Schuhen und schmutziger Trainingsjacke - muß einen wirkungsvollen Kontrast zu der vornehmen Welt Westberlins abgegeben haben.
Wieder mit der U-Bahn fuhren wir zum Alex und speisten im Automatenrestaurant zu Mittag - glücklicherweise hatte ich mein letzte Geld verborgt und konnte nicht so viel essen, wie ich Appetit hatte.
Im HO-Kaufhaus erstanden wir für Herrn Beutel ein Fotoalbum. Auf dem Bahnhof erschienen wir pünktlich. Trotzdem erhielt Herr Beutel sein Geschenk etwas überstürzt, und meine schöne Rede konnte ich nur unvollständig anbringen.
Wodjus bereitete uns Sorgen, weil er mit einer Stunde Verspätung erschien. Die Heimfahrt war langweilig.


Mittwoch, 13.6.56.

Heute vormittag war ich in Staßfurt. Bei Frau Flügel war kein einziger Beitrag für unsere Zeitung eingegangen. Sie will uns die Vervielfältigungsmaschine zur Verfügung stellen.
Am 25. ist der Abiturientenball. Bis dahin muß die Zeitung fertig sein.


Freitag, 22.06.

Einigermaßen ausgeruht stand ich heute früh auf, schrieb für die Abizeitung ein kurzes "Abschiedswort an die Oberschule", setzte mich aufs Rad und besuchte Masche und Hirschi.
Frau Flügel enttäuschte mich: sie wird uns die Matrizen für die Abizeitung nicht schreiben. Aber Herr Fräsdorf versprach Papier, will jedoch vor dem Druck die Zeitung lesen.
Ich fuhr zu Marlies. Sie kann mit Maschine schreiben und übernimmt einen Teil des Manuskripts. Dann war ich in Staßfurt bei Hoppel, überredete ihn, die Zeitung wenigstens teilweise zu schreiben, trank bei ihm einen halben Liter Bier und fuhr mit ihm nach Neustaßfurt, dann nach Hause.
Morgen wird es mit der Zeitung noch zu tun geben.


Sonnabend, 23.06.

Heute war ich zuerst in F.stedt bei Marlies, diktierte ihr eine Seite in die Maschine, fuhr dann nach Staßfurt zur Schule. Herr Fräsdorf grinste, als er die Zeitung las, genehmigte aber alles. Anschließend gab er mir zu Frau Flügels größter Entrüstung mehr Matrizen, als wir brauchen.
Danach war ich bei Hirschi, hinterlegte dort die übrigbleibenden Blätter und brachte Hoppel seinen Anteil.
Nachmittags fuhr ich wieder nach Staßfurt. Wodjus erhielt den Auftrag, auch einige Seiten zu schreiben, dann waren wir im Strandbad, spielten aber nur Skat.


Dienstag, 26.06.

Gestern wurde in der Schule die Abizeitung gedruckt. Bei Hoppel war niemand zu Hause, deshalb konnten wir zuerst nur drei Seiten drucken. Hirschi schmierte die Farbe auf, er sah nachher aus wie ein Schornsteinfeger. Masche nahm die frisch gedruckten Bogen ab, ich legte sie zum Trocknen aus.

In der Mittagspause reparierten wir mein Rad. Ich hatte am Morgen eine Panne gehabt. Dann bekamen wir die Matrizen von Hoppel und konnten weiter drucken. Gegen 15 Uhr waren wir fertig.

Zu Hause fand ich gerade noch Zeit zum Mittagessen, Umkleiden und Abendessen, dann ging's wieder los. Bei Masche zog ich die gute Hose an, die ich bereits am Vormittag zu ihm gebracht hatte, dann gingen wir los - Masche, Hemmi und ich - und holten Hirschi ab.

Der Saal im Sodawerk war sehr voll. Unsere ehemalige Klasse saß an einem Tisch. Es wurde ziemlich viel getrunken. Ich hatte es auch nötig - hatte sich doch wie befürchtet niemand gefunden, der die Abizeitung vorlesen wollte.
Nach einer großen Schau kam der große Moment: zu viert - drei Mann aus der A-Klasse und ich - bestiegen wir die Bühne. Nach dem Vortrag der 12A, meisterhaft gesprochen, war meine schlechte Aussprache nicht besonders beeindruckend. Na ja, alle die, die sich vorher geweigert hatten vorzulesen, kritisierten mich nachher am meisten.


Donnerstag, 28.06.

Gestern nachmittag in Staßfurt, als ich mit Hirschi vor Masches Tür stand, kam Dr. Zettl auf uns zu. Mit ahnte nichts Gutes - Abizeitung! Aber er machte uns nur darauf aufmerksam, daß ein Abiturient den Dank aller zur Entlassungsfeier auszusprechen pflegt. Diesmal hätte ich Lust das zu tun, eines Satzes wegen: "Unserer Jugend stehen alle Wege offen. Jeder von uns kann seinen Lebensweg seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechend einschlagen, und unser Arbeiter- und Bauernstaat wird ihm dabei volle Unterstützung gewähren."

Abends war ich mit Ocker und seiner Freundin in der Freilichtbühne. Nie hätte ich gedacht, daß Schillers "Räuber" so aktuell sind.

Nachmittags hatten wir eine letzte Besprechung der Ferienhelfer bei Stern-Radio. Viel Neues wurde uns nicht mitgeteilt.

Morgen früh geht die Schule in den Müntzer-Film.Wir - Masche, Hirschi und ich - wollen ihn auch ansehen.


Sonnabend, 30.6.

Nun liegt die Schulzeit endgültig hinter mir. Heute war die Abschlußveranstaltung: sehr schön und etwas rührend. Für meine besonderen Verdienste um die demokratische Oberschule erhielt ich Blumenstrauß und Diplom.
Meine Ansprache klappte etwas besser als der Vortrag der Abizeitung. Wie Herr Beutel sagte, wurden die Spitzen sogar verstanden.
Anschließend teilte mir Direktor Kerber mit, daß meine Bewerbung von der Humboldt-Uni Berlin ebenfalls abgelehnt wurde: das Aufnahmeverfahren war bereits abgeschlossen.

Bei Groest feierten wir das Bestandene im kleinen Kreise.


ANMERKUNGEN

001 Erinnerungen an unsere gemeinsame Schulzeit hat Horst Mempel auf seiner Website publiziert: [Zurück]

002 Aküfi: AbrzungsFImmel [Zurück]

003 NIKITA SERGEJEWITSCH CHRUSCHTSCHOW (1894-1971): Nach dem Tod Stalins am 05.03.1953 einer der vier Sekretäre des ZK, nach Verdrängung G. M. MALENKOWS im September 1953. Erster Sekretär der KPdSU. Außenpolitisch leitete er mit der These von der friedlichen Koexistenz eine Entspannungsdiplomatie ein; konzedierte 1955 Österreich unter der Bedingung der »immer währenden Neutralität« die staatliche Unabhängigkeit und unterstützte 1955 diplomatisch die Bandungkonferenz (1955). [Zurück]

004 KVP (Kasernierte VolksPolizei): von 1952 bis 1956 bewaffnete Kräfte der DDR. Per 01.07.1952 entstanden innerhalb des Ministeriums des Innern zentral geleitete Verbände, Truppenteile und Einheiten der Land-, Luft- und Seestreitkräfte, seit 1953 mit einem Hauptstab in Strausberg (u.a. etwa 600 Panzer, 140 Schiffseinheiten). Am 18.01.1956 umbenannt in Nationale Volksarmee (NVA), am 01.12. 1956 aufgelöst. [Zurück]

005 HO: HandelsOrganisation. Seit 1948 volkseigener (staatlicher) Einzelhandel und volkseigenes Gaststätten- und Hotelwesen. Bis zur Aufhebung der Rationierung wurden in den HO-Läden Waren angeboten, deren Preise höher als die auf Lebensmittelkarten und Bezugscheine zu erwerbenden waren. [Zurück]

006 FDJ: Freie Deutsche Jugend. Seit 1946 Jugendorganisation in der Sowjetischen Besatzungszone / DDR. In der BRD seit 1951 verboten. Erste Sekretäre des Zentralrats der FDJ waren 1946 bis 1955 ERICH HONECKER (1912-1994) und 1974 bis 1983 EGON KRENZ (geb. 1937). [Zurück]

007 Die Aufzeichnungen im Unterricht wurden in ein Schmierheft geschrieben und dann zu Hause in ein Heft übertragen [Zurück]

008 HEINRICH RAU (1899-1961): 1918 Teilnehmer an der Novemberrevolution 1918. 1928-33 Abgeordneter des Preußischen Landtags. 1937 XI. Internationale Brigade im spanischen Bürgerkrieg; 1939 Verhaftung durch französische Behörden; 1942 Auslieferung an die Gestapo - bis 1943 Gestapogefängnis Berlin Prinz-Albrecht-Straße, März 1943 - Mai 1945 KZ Mauthausen. Teilnehmer am Lageraufstand. 1946-1948 Minister für die Wirtschaftsplanung des Landes Brandenburg; 1948/49 Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftkomission; 1949/50 Minister für Planung in der Provisorischen Regierung der DDR; 1950-1952 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission; 1955-1961 Minister für Außenhandel und Innerdeutschen. Handel. [Zurück]

009 Film: Untreue 1953. (Le Infideli): Italien 1953. Erstaufführung DDR: 20.05.1955. Regisseure: STENO, MARIO MONICELLI. Darsteller: ANNA MARIA FERRERO, GINA LOLLOBRIGIDA, PIERRE CRESSOY, MAY BRITT, MARINA VLADY [Zurück]

010 [Stichpunkte im Schmierheft]

Deutsch
Gliederung Hausaufsatz Lebenslauf.
Ausführliche Darstellung dessen, was wir erlebt haben.
Landschaft.
Einfluß der Kindheit
Grundschule, Oberschule
[Zurück]

011 ZSGL: Zentrale SchulGruppenLeitung der FDJ (Freíe Deutschen Jugend) [Zurück]

012 zum Baden gehen = im Stadtbad duschen [Zurück]

013 Film: Kleider machen Leute. Deutschland 1940. Uraufführung 16.09.1940. Nach der Novelle von GOTTFRIED KELLER. Drehbuch und Regie HELMUT KÄUTNER. Darsteller HEINZ RÜHMANN, HERTHA FEILER, HANS STERNBERG, FRITZ ODEMAR, HILDE SESSAK, RUDOLF SCHÜNDLER, ERICH PONTO, HANS STIEBNER, LEOPOLD VON LEDEBUR, FRANZ WEBER, ERWIN HOFFMANN, HELMUT WEIß, ARIBERT WÄSCHER, OLGA LIMBURG. [Zurück]

014 PAUL MERKEWITZ. Staßfurter Sportorganisator. [Zurück]

015 Film: Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse. DEFA 1955. Uraufführung: 07.10.1955 in der Volksbühne, Berlin - Hauptstadt der DDR. Regie: KURT MAETZIG. Dialog-Regie: JOHANNES ARPE. Regie-Assistenz: GÜNTER REISCH, BERND BRAUN und KONRAD WOLF. Buch: WILLI BREDEL, MICHAEL TESCHESNO-HELL und KURT MAETZIG nach einem literarischen Szenarium von WILLI BREDEL und MICHAEL TESCHESNO-HELL. [Zurück]

016 Erinnerungen von Rainer Harte (April 2006):
Aufregend waren die Tanzstunden, vor allem zu Anfang, wenn man zur Wunsch-Dame auf der Gegenseite eilen wollte. Mitunter gab es Frühstarts, die von Herrn Friedrich (dem Tanzstundenlehrer) annulliert wurden. Beim Kreuzen der Wege in der Saalmitte gab es üble - und vor allem zeitraubende - Zusammenstöße. Während längerer Erläuterungen schlief der Pianist Winkler am Flügel ein. [Zurück]

017 Stichpunkte im Schmierheft
  • Protokoll
  • Ein Teil der Stunde ging für Klassengeschäfte drauf.
  • Hinweise auf Hausaufsatz.
  • Entwicklung steht im Vordergrund.
  • Sportliche und geistige Entwicklung.
  • Vertreter des Realismus (s. Heft).
  • Naturalismus. Hauptmann bedauert Zerstörung Dresdens.
  • Nicht unbedingt zu loben, da pessimistisch.
  • Keller. [Zurück]

018 ERNST KERBER, Geschichtslehrer. Schulleiter 01.09.1955-30.07.1983 [Zurück]

019 LOUIS BROMFIELD (1896-1956): Traum in Louisiana. 1927 Pulitzer-Preis für "Early Autumn" (1926) [Zurück]

020 1920 gründete der Theaterdirektor MAX KAISER (MAX KOPPE) das Staßfurter Stadttheater im ehemals VON WERDENSLEBENSCHEN Wohnhaus in der Steinstraße, das 1926 wieder schließen musste, weil "namentlich bei den gebildeten Ständen das Kunstinteresse nicht sehr groß" war. 1946 fand die Neugründung des Stadttheaters durch eine GmbH statt. Daraus ging das Salzlandtheater Staßfurt hervor, das dann mit dem Bernburger Theater fusionierte und später wieder als selbständiges Theater arbeitete. 1968 wurde das Salzlandtheater geschlossen, die Spielstätte blieb erhalten und wurde 1985 rekonstruiert. (SIEGFRIED MAAß: "Du bist auch in der Fremde nicht für mich verloren". Staßfurt - Geschichte und Geschichten einer Stadt. BK-Verlag Staßfurt 1994) [Zurück]

021 BOOGIE-WOOGIE. Eigentlich eine Stilart des Piano-Blues. CLARENCE 'PINETOP' SMITH erfand den Begriff Boogie-Woogie, als er den berühmten "PINETOP'S Boogie Woogie" im Jahre 1928 aufnahm. Korrekt wäre hier von Rock 'n' Roll zu sprechen, dem kommerziellen Etikett für verschiedenartige Formen der populären Musik Nordamerikas, die sich in den Jahren 1954 bis 1958 unter der amerikanischen Jugend durchgesetzt haben und später zum Ausgangspunkt der Rockmusik (Beat) wurden. (Polly oder Stinnes hatten 1956 eine Schallplatte u.a. mit dem bekannten Titel "Rock around the Clock". ) Insgesamt lassen sich unter dem Verkaufsetikett Rock 'n' Roll fünf verschiedene Spielweisen ausmachen: der Rock 'n' Roll in der Chicagoer Rhythm-and-Blues-Tradition, der Rock 'n' Roll aus New Orleans in der Blues- und Boogie-Tradition des Südens, der gospelbeeinflusste Rhythm and Blues der schwarzen Vokalgruppen, Jumpblues und Western Swing aus dem amerikanischen Norden und die einzige Spielweise des Rock 'n' Roll, die mit diesem Verkaufsetikett erst aufkam, die Rockabilly-Imitation der afroamerikanischen Musik aus dem Süden der USA durch weiße Sänger wie z.B. ELVIS PRESLEY. [Zurück]

022 SCHNECKE: Kuchengebäck und für Mädchen. [Zurück]

023 KLINGSCHh: Kneipe, Gaststätte und Tanzsaal am Staßfurter Prinzenberg. [Zurück]

024 FRIEDRICH NIETZSCHE: Menschliches Allzumenschliches: Erste Abteilung (1879). Vermischte Meinungen und Sprüche. 387. Damals gelesen in FRIEDRICH NIETZSCHE Werke in zwei Bänden. 1. Band. Ausgabe für die Deutsche Buch=Gemeinschaft. Alfred Kröner Verlag, Leipzig 1930 [Zurück]

025 WALTER HALLSTEIN (1901-1982): 1951-1958 Staatssekretär im Auswärtigen Amt [Zurück]

026 ADALBERT STIFTER (1805-1868): Die Mappe meines Urgroßvaters. (1841; 1847 in: Studien) [Zurück]

027 WALTHER VICTOR: Kleist. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Thüringer Volksverlag. Weimar 1953 [Zurück]

028 Auf einem unbefestigten Feldweg von A.dorf nach Staßfurt durch die Feldmark "Marbe" (benannt nach den beiden Wüstungen Klein und Groß Marwitz) - noch in der frühen Neuzeit ein Sumpfgebiet, entwässert durch den "Marbegraben". [Zurück]

029 Film: Der Sonntagsangler. (Originaltitel: Poisson d'avril). Frankreich 1954, deutsche Erstaufführung: 11.11.1955.. Regie: GILLES GRANGIER. Darsteller u.a. FUNÉS, BOURVIL, ANNIE CORDY, JACQUELINE NOËLLE [Zurück]

030 WOLF JUSTIN HARTMANN: Das Papageiennest. Roman des Urwaldes. Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Hamburg o.J. [Zurück]

031 FERDINAND FREILIGRATH (1810-1876): Von unten auf [FREILIGRATH: Ç a ira! In F.: Werke. Bd. 2, S. 95-97] [Zurück]

032 MIRKO JELUSICH (1886 - 1969): Cromwell (1933). JELUSICH war von 1923 bis 1933 Redakteur der Deutschösterreichischen Tages-Zeitung , dem Hauptblatt der Hitlerbewegung. Schwerpunkt von JELUSICHS Propaganda war der "Anschluss" Österreichs an Deutschland. Seine Romane Cromwell (1933) und Caesar verherrlichen das Führerprinzip. [Zurück]

033 HEINRICH MANN (1871-1950): Der Untertan (teilweise in Zeitschriften 1911-1914, Buchveröffentlichung 1918; verfilmt 1951). Damals gelesen in HEINRICH MANN: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Hg. ALFRED KANTOROWICZ. Band IV. Aufbau-Verlag. Berlin 1951 [Zurück]

034 Oper von GIACOMO PUCCINI (1858-1924): Madame Butterfly (1904) [Zurück]

035 Erdkundelehrer FRANZ KOWOLIK [Zurück]

036 Kulturhaus des VEB Sodawerke Fred OELßNER Staßfurt.
FRED (LAREW) OELßNER (1903-1977): 1933 illegale Tätigkeit; 1935 UdSSR; Dozent für Politökonomie in Moskau, 1936 Entlassung wegen angeblicher ideologischer Abweichungen. 1947-1958 Mitglied des Parteivorstandes bzw. Zentralkomitees (ZK) der SED; 1949-1055 Mitglied des Kleinen Sekretariats bzw. Sekretariats und 1950-1958 des Politbüros des ZK der SED; ab 1954 Vorsitzender der Sektion Wirtschaftswissenschaften der Deutschen Akademie der Wissenschaften; 1955-1958 Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats; 1956 Professor für politische Ökonomie am Parteiinstitut für Gesellschaftswissenschaften; Februar 1958 wegen "wiederholter Verletzung der Disziplin des Politbüros« aus diesem Gremium ausgeschlossen, März 1958 Enthebung von allen Funktionen im Staats- und Parteiapparat; September 1959 öffentliche Selbstkritik wegen "Opportunismus und politischer Blindheit" in den Jahren 1956/57; 1968 Dr. h.c. der Humboldt-Universität Berlin; 1973 Karl-Marx-Orden. OELßNER. zählt zu den Gründern der politisch-ökonomischen Lehre und Forschung in der DDR. [Zurück]

037 KURT ARNOLD FINDEISEN: Der goldene Reiter und sein Verhängnis. Glanz und Elend einer unsterblichen Stadt. Eine Roman-Chronik aus den Tagen des Barock. Verlag der Nation Berlin 1954. [Zurück]

038 Deutsch- und Englisch-Lehrerin RUTH WIEGAND [Zurück]

039 WERA A. LJUBIMOWA: Schneeball. DDR Schulbuchverlag 1951 [Zurück]

040 Die Geschichte eines ungewöhnlichen Strandbades ist zu finden in SIEGFRIED MAAß: "Du bist auch in der Fremde nicht verloren" a.a.O. S. 96ff. [Zurück]

041 Brauerei Niemann. 1891 gegründet als "Brauerei Gebr. Niemann", 1952-1972 "Brauerei Niemann", 1972 in Volkseigentum überführt und Bierproduktion eingestellt 1972, 1990 geschlossen. [Zurück]

042 zu Verwandten [Zurück]

043 Wissenschaft und Fortschritt: naturwissenschaftliche Monats-Zeitschrift mit Beiträgen aus allen Wissenschaftsbereichen, herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR. Umfang 20 bis 30 Seiten, mehrere zumeist kurze Aufsätze und Artikel, etwa 1 Seite Buchbesprechungen wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur, 2-3 Seiten aktuelle Kurzmeldungen aus der Wissenschaft, eine Seite mit nichttrivialen Mathematik-Aufgaben und Lösungen. [Zurück]

044 RUDYARD KIPLING: (1865-1936): Das Dschungelbuch. Paul List Verlag. Leipzig 1954 [Zurück]

045 WILHELM PIECK, 03.01.1876 Guben - 07.09.1960 Berlin. Mitgründer des Spartakusbundes (1917) und der KPD (1918/19), 1928-1933 Mitglied des Reichstages, ab 1933 Exil (Paris, UdSSR), ab 1935 Vorsitzender der KPD, 1938-1943 Generalsekretär der Komintern, 1943 Mitgründer des »Nationalkomitees Freies Deutschland«, 1946-1954 Vorsitzender der SED mit OTTO GROTEWOHL (1894-1964. 1949-1964 Ministerpräsident bzw. Vorsitzemder des Mininisterrates der DDR), 1949-1960 Präsident der DDR. [Zurück]

046 Film: Rot und Schwarz. Frankreich. Nach dem Roman von STENDHAL mit GÉRARD PHILIPE (1954), Synchronisation der DEFA (1955) [Zurück]

047 NIKOLAI ALEXEJEWITSCH OSTROWSKI (1904-1936): Wie der Stahl gehärtet wurde (1932-34). Ausgabe Verlag Neues Leben. Berlin 1948 [Zurück]

048 Film: Der Graf von Monte Christo. Zwei Teile. (Originaltitel Le Comte de Monte Christo Teil 1: Edmond Dantes / Teil 2: La Vengeance). Frankreich/Italien 1953. Erstaufführung BRD 12.10.1954. Darsteller: NOËL ROQUEVERT als NOIRTIER, LIA AMANDA als MERCEDES, ROGER PIGAUT als FERNAND, JEAN MARAIS als EDMOND DANTÈS, JACQUES CASTELOT als VILLEFORT [Zurück]

049 Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse: 1954 in der DDR gegründet, seit 1966 unter dem Namen URANIA. [Zurück]

050 Tanzveranstaltung für Jugendliche am Sonntagnachmittag [Zurück]

051 Volkskammer der DDR 18.01.1956: Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee (NVA) und des Ministeriums für Nationale Verteidigung. Bundestag der BRD 21.07.1956: Wehrpflichtgesetz. 24.01.1962 Wehrpflichtgesetz der DDR. [Zurück]

052 Die Geschichte der Staßfurter Bibliothek beginnt mit der Lesehalle am Sandplatz, gegenüber der Adler-Apotheke. Daraus entstand später die Volksbücherei, und nach 1945 wurde die Bibliothek dann im ehemaligen WERDENSLEBENSCHEN Haus in der Steinstraße untergebracht. Am Mühlendamm befindet sie sich seit 1961. (MAAß, a.a.O. S.78) [Zurück]

053 ARNOLD ZWEIG: Zyklus Der große Krieg der Weißen Männer: Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927), Junge Frau von 1914 (1931), Erziehung vor Verdun (1935), Einsetzung eines Königs (1937), Die Feuerpause (1954), Die Zeit ist reif (1957) [Zurück]

054 Erinnerungen von RAINER HARTE (April 2006):
In der 12. Klasse war wöchentlich auf dem Hof Fahnenappell. Wegen einer Augenverletzung musste ich wochenlang eine Schutzklappe tragen. Als die 12B2 mit dem "Fahnehissen" dran war, wurde ich als "Pirat" vorgeschickt. Mein Partner war Stinnes - mit einem Arm in Gips. [Zurück]

055 Biologie- und Chemielehrer HANS SCHWARZENDORFER [Zurück]

056 KONSUM: hier Verkaufsstelle der genossenschaftlichen Handelsorganisation in der DDR (neben der staatlichen HO). [Zurück]

057 MTS (Maschinen-Traktoren-Station): staatliche Betriebe, die der sozialistischen Landwirtschaft wirtschaftliche, politische und kulturelle Hilfe leisteten. Vorläufer der MTS in der DDR waren die im Zuge der Bodenreform geschaffenen Maschinenhöfe und Reparatur-Werkstätten der VdgB (Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe), die 1949 in staatliche MaschinenAusleihStationen (MAS) umgewandelt wurden. Die MAS sollten durch Ausleihe moderner Maschinen und Geräte die Klein- und Mittelbauern von den Großbauern ökonomisch unabhängig machen. 1952 wurden die MAS zu MTS. Die MTS unterstützten die kulturelle Entwicklung auf dem Lande (Kulturhäuser, Bibliotheken). [Zurück]

058 VICTOR MARIE HUGO (1802-1885): 1793 (Originaltitel: Quatre-vingt-treize [1874]). Hg. EVA SCHUMANN. Aufbau-Verlag. Berlin 1956 [Zurück]

059 Unternehmen Xarifa. Dokumentation. Schweiz, 1954. Regie HANS HASS. Besetzung u.a. Irenäus EIBL VON EIBESFELD [Zurück]

060 Tanzkapelle unter Leitung von KARL MEIER [Zurück]

061 VICTOR MARIE HUGO (1802-1885): Der Glöckner von Notre-Dame (Originaltitel Notre-Dame de Paris [1831, 2 Bände]) [Zurück]

062 Film: Der Teufelskreis. DEFA 1956. Regie: CARL BALHAUS. Nach dem Drama von HEDDA ZINNER (1953) HEDDA ZINNER (Pseudonym ELISABETH FRANK, HANNCHEN LOBESAM; 1907-1994). 1933 Emigration nach Wien und Prag; 1935 nach Moskau (mit Ehemann FRITZ ERPENBECK), 1936 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. Juni 1945 Rückkehr nach Deutschland (Berlin); freiberufliche Schriftstellerin und Regisseurin; 1953 Schauspiel Der Teufelskreis. [Zurück]

063 STENDHAL (HENRY BEYLE): Novellen. Reihe Sammlung Dieterich Bd. 153. Verlag Dieterich. Leipzig 1954 [Zurück]

064 Erinnerungen von RAINER HARTE (April 2006):
Einige Bemerkungen zum Thema "Fasching":
- In der 11. (?) Klasse habe ich mich zum Fasching als Mädchen verkleidet. Ihr habt "Ignaz" Schwarzendorfer glaubhaft gemacht, dass ich eine neue Schülerin bin. Er bat mich dann, von meinem Stammplatz auf die Mädchenbänke zu wechseln. Nach dem Unterricht gingen fast alle ins Schloß-Café. Am Wasserturm gab es bei Straßenpassanten, dass ich als "Weib" auf die Männer-Pinkelbude ging. Je alkoholisierter die Jungen waren, desto mehr wurde an meiner Bluse rumgegrapscht.
- Staßfurt hatte Anfang der 50er Jahre mal Faschingsveranstaltungen mit Prinzenpaar usw. 100 bis 200 Staßfurter trotteten relativ humorlos von der Bodebrücke Richtung Leopoldshall. An der Straßenbahnhaltestelle wohnte die aus dem Rheinland stammende Frau vom Zahnarzt Geiss. Sie gestikulierte fröhlich am Fenster und warf mit Konfetti, Papierschlangen u.ä. Aus dem Unzug wurde ihr ein "Piep" gezeigt. [Zurück]

065 LION FEUCHTWANGER: Der falsche Nero. Aufbau Verlag. Berlin und Weimar. 1954 [Zurück]

066 Deutsch- und Russischleher WILHELM BEUTEL, unser Klassenlehrer in der 12. Klasse. [Zurück]

067 RUTH DÖPPE-EHSER: Vincent van Gogh 1853-1890. Sein Leben in Bildern. Bibliographisches Institut. Leipzig 1955 [Zurück]

068 Film: Robert Mayer - Der Arzt aus Heilbronn. DEFA 1955. Autor: ALFRED R. BÖTTCHER. Musik: JOACHIM WERZLAU. Regie: HELMUT SPIEß. Darsteller: EMIL STÖHR, GISELA UHLEN, OTTO EDUARD STÜBLER, WALTHER SÜSSENGUTH, HILMAR THATE u.a. [Zurück]

069 MAXIM GORKI (ALEXEJ MAXIMOWITSCH PESCHKOW (1868 - 1936): Die Mutter. (1906/06, deutsch 1907) [Zurück]

070 MARTIN ANDERSEN-NEXÖ (1869-1954). Werke: u.a. Pelle der Eroberer; Ditte Menschenkind; Morten der Rote [Zurück]

071 DOSTOEVSKIJ, FJODOR MICHAJLOWITSCH (1821-1881): (deutsch Raskolnikow [1866], Schuld und Sühne [1906], Verbrechen und Strafe [1993]). Damals gelesen in der Ausgabe: FJODOR DOSTOJEWSKI: Rodion Raskolnikow. (Schuld und Sühne). Aus dem Russischen von H. RÖHL. Nachwort von WOLF DÜWEL. Aufbau Verlag. Berlin und Weimar. 1. Auflage 1956 [Zurück]

072 MICHAIL ALEXANDROWITSCH SCHOLOCHOW, sowjet-russischer Schriftsteller (1905-1984). Sein Roman Der stille Don (vier Teile; 1928-40, umgearbeitet 1953) hat das Leben und die Kämpfe der Donkosaken zur Zeit des Ersten Weltkriegs sowie im Bürgerkrieg zum Gegenstand. Auch der zweite Roman Neuland unterm Pflug (2 Teile, 1933-60) schildert das Leben am Don. 1965 Nobelpreis für Literatur. [Zurück]

073 STRECKER, HEINRICH (1893-1981): Mädel aus Wien. Operette. Libretto FRANZ (JO) GRIBITZ u. F. GEROLD. Uraufführung 1931 [Zurück]

074 PAUL LINCKE/LINKE (1866-1946): Frau Luna (1899). Operette in zwei Akten, Text von HEINZ BOLTEN-BAECKERS. [Zurück]

075 HERBERT BUTZE: Im Zwielicht der tropischen Wälder. Landschaft, Mensch und Wirtschaft. VEB Brockhaus Verlag. Leipzig. 1954 [Zurück]

076 MICHAEL PRAWDIN: Das Erbe Tschingis-Chans. Büchergilde Gutenberg. 1953 [Zurück]

077 GST: Gesellschaft für Sport und Technik. Gegründet 1956, vor allem zur vormilitärischen Ausbildung der Jugend. [Zurück]

078 1953 saß die Kreisleitung der FDJ in der Villa der Brauerei Niemann. Der damalige Kreissekretär hieß GÜNTHER (seine Unterschrift und das Datum 17.06.1953 ist auf meinem ersten FDJ-Ausweis zu finden). Danach befand sich der Sitz der Kreisleitung auf der damals noch existierenden Bodeinsel "Mücke" hinter dem Kino "Weltspiegel". [Zurück]

079 Physiklehrer Dr. RASCH [Zurück]

080 BOLESLAW BIERUT (1892 - 12.03.1956) schuf als Vorsitzender des Landesnationalrats (1944-47) und Vertrauensmann STALINS 1944/45 die Grundlagen der kommunistischen Machtergreifung in Polen. 1947-52 Staatspräsident, 1952-54 Ministerpräsident, 1948-54 Vorsitzender und 1954-56 Erster Sekretär der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. [Zurück]

081 19.03.-03.05.1956. Abrüstungskonferenz der UN-Mitgliedsstaaten in London [Zurück]

082 "Die Vermenschlichung des Menschen ist eine Aufgabe, für die keine Kunst zu schade ist" (Zweig). Aufsatz vom 24.02.1956. [Zurück]

083 Zu einem HEINE-Abend (Lesung: Deutschland, ein Wintermärchen) im Literaturhaus der Landeshauptstadt Magdeburg am 25.01.2006 waren keine fünfzig Besucher erschienen [Zurück]

084 NAGEMA: volkseigene Betriebe des Maschinenbaus für Nahrungs- und Genussmittel-, Kälte- und Chemische Industrie. Die Eisengießerei der NAGEMA Staßfurt befand sich in der Atzendorfer Straße. Der korrekte Name war 1955 schon VEB Maschinen- und Apparatebau Staßfurt. Daraus wurde später der VEB Chemieanlagenbau Staßfurt (CAS). Zwischen dem Betrieb und der Oberschule bestand ein Patenschaftsvertrag. [STEFFEN SCHMIDT (Hg.): Dr.-Frank-Gymnasium Staßfurt 1914-2004. Festschrift zum 90-jährigen Bestehen des Schulkomplexes an der Stastbadstraße. S.72ff.) [Zurück]

085 SCHOLOCHOW, MICHAIL (1905-1984): Neuland unterm Pflug. 1. Teil (1933). Volk und Welt Verlag. Berlin. 5. Auflage 1955 [Zurück]

086 LESSING, GOTTHOLD EPHRAIM: Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1763 [Zurück]

087 Zu bumsen bedeutete damals noch nicht wie heutzutage den Geschlechtsverkehr geräuschintensiv auszuüben. "Bums" nannten wir eine Tanzveranstaltung [Zurück]

088 Kulturhaus des VEB Stern-Radio ERNST THÄLMANN [Zurück]

089 Im Harz bei Wippra [Zurück]

090 Trotz Englischunterrichts sprachen wir Utah so aus, wie das Wort geschrieben wird. [Zurück]

091 Film: Papa, Mama, Katrin und ich. (Originaltitel: Papa, maman, la bonne et moi). Frankreich 1954. Deutsche Erstaufführung: 23.09.1955. Darsteller u.a.: LOUIS DE FUNÉS und NICOLE COURCEL [Zurück]

092 FRITZ LANGE (1898 - 1981). Minister für Volksbildung. 1919-1924 Volksschullehrer. 1930-1932 leitender Funktionär in der Reichsleitung des Kampfbunds gegen den Faschismus; 1933 KZ Sonnenburg; 1935-42 illegaler Widerstand. 1943 vom "Volksgerichtshof" zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. 1954-58 Minister für Volksbildung (Nachfolger von ELSE ZAISSER); 1958 nach Kritik auf dem V. Parteitag der SED abgelöst. [Zurück]

093 KNICKERBOCKER: seit Ende des 19. Jahrhunderts beliebte sportliche Männerhose mit weiten, überfallenden, wadenlangen Beinen; benannt nach dem Pseudonym und der Hauptfigur eines Romans von WASHINGTON IRVING (1783-1859) - Diedrich Knickerbocker: A history of New York (1809, deutsch: Die Handschrift Diedrich Knickerbockers des Jüngeren) [Zurück]

094 Film: Clochemerle (deutsch: Die liebestolle Stadt). Frankreich 1948. Erstaufführung DDR: 16.01.1953. Regie: PIERRE CHENAL. Drehbuch: PIERRE LAROCHE, nach einem Roman von GABRIEL CHEVALIER. Kamera ROBERT LE FEBVRE. Musik: HENRI SAUGUET. Darsteller: SIMONE MICHELS; MAX DALBAN; MAXIMILIENNE; SATURNIN FABRE; FELIX OUDART [Zurück]

095 CHOSSEWITZ: Rund 60 km östlich von Berlin erstrecken sich Schlaube- und Ölsetal gut 10 km in nord-südlicher Ausdehnung. Ehemalige Wassermühlen: Klinge-, Walke-Janke- und Bremsdorfer Mühle. Die Wälder sind reich an Naturschönheiten und seltenen Vogelarten. Der Bestand an Rot- und Schwarzwild ist beachtlich. [Zurück]

096 J. W. STALIN: Werke. Band 11 (1928-März 1929) Dietz Verlag Berlin 1954. S.298-317.
Den Text las ich in der Broschüre aus der Reihe Kleine Bücherei des Marxismus-Leninismus - auf dem roten Umschlag der weiße Name STALIN und auf einem weißen Streifen der schwarze Titel Die nationale Frage und der Leninismus. Das Heft mit den 23 Seiten Text fand ich vermutlich in der Hinterlassenschaft eines Onkels, der 1953 in den Westen gegangen war. Seinem Nachlass verdanke ich auch die erste Bekanntschaft mit dem Kommunistischen Manifest.
STALINS Definition des Begriffs der Nation leitet den Aufsatz ein: "Die Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft von vier grundlegenden Merkmalen, und zwar: auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, der Gemeinschaft des Territoriums, der Gemeinschaft des Wirtschaftslebens und der Gemeinschaft der psychischen Wesensart, die sich in der Gemeinschaft der spezifischen Besonderheiten der nationalen Kultur offenbart." STALIN polemisierte gegen die Auffassung, diese vier Merkmale durch ein fünftes zu ergänzen: "das Vorhandensein eines eigenen gesonderten Nationalstaates". [Zurück]

097 Erinnerungen von RAINER HARTE (April 2006)
"Thusmelda" Wiegand setzte sich während der Stunde auf einen klitschnassen Schwamm. Sie ging nach Hause (Rosmaringasse) und zog sich um. Die Strafe: 3x zu Hause das lied "My bonny is over the ocean" schreiben. Nur unwillig hat sie meine Zettel entgegengenommen (Schreibmaschinenschrift mit zwei Durchschlägen).
Unvergesslich der Versprecher Tonis in ihrer Englisch-Stunde: "This is my left eye, that is my right eye - dieses ist mein linkes Ei ..." [Zurück]
098 Schulbücher wurden unentgeltlich zur Verfügung gestellt und mussten am Schuljahresende zurückgegeben werden. Bei der Abiturvorbereitung musste man dann sehen, bei wem man die Bücher der Klassenstufen 9 bis 11 ausleihen konnte. [Zurück]

099 ROMAN KIM: Die Spur des Tigers. Dietz-Verlag. Berlin 1952 [Zurück]

100 Jugend und Technik (j+t) seit 1952. Herausgeber: Zentralrat der FDJ. Preis 1,- Mark. Populärwissenschaftliches technisches monatlich erscheinendes Jugendmagazin mit Bauplanbeilagen, Bastelhilfen Berichten über Bauprojekte, Erklärungen naturwissenschaftlicher Phänomene. [Zurück]

101 JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: Iphigenie auf Tauris. Zweiter Aufzug. Erster Auftritt. [s. Anlagen] [Zurück]

102 H. HEINE: Enfant Perdu [In: Romanzero][s. Anlagen] [Zurück]

103 GOTTFRIED KELLER: Das Fähnlein der sieben Aufrechten. Züricher Novellen. Band 2 [s. Anlagen] [Zurück]

104 Der Betrieb in der Löderburger Straße wurde 1926 gegründet und produzierte zunächst Geräte der Marke "Imperial". 1949 wurde eine handwerkliche Produktion aufgenommen. Von 1951 bis 1960 hieß der Betrieb VEB Stern-Radio Staßfurt, er produzierte u.a. das Radio der Marke Dominante. 1960 umbenannt in VEB Fernsehgerätewerk Staßfurt. Der Fernseher "Color 20" aus Staßfurt war das erste in Europa gefertigte volltransistorisierte Farbfernsehgerät [Zurück]

105 FRIDTJOF NANSEN (1861-1930): norwegischer Polarforscher, Zoologe, Ozeanograph und Diplomat; begann 1893 auf der "Fram" eine Driftfahrt ins Nordpolarmeer und erreichte 1895 mit F. H. JOHANSEN bei einem Schlittenvorstoß zum Pol eine nördliche Breite von 86º 14'. [Zurück]

106 SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands): gegründet im April 1946 auf dem Vereinigungsparteitag der KPD und der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone; die Führungsorgane zunächst paritätisch mit Sozialdemokraten und Kommunisten besetzt (Parteivorsitzende: WILHELM PIECK und OTTO GROTEWOHL). Parteivorsitzender 1953-76 WALTER ULBRICHT, seit 1950-1971 Titel "Erster Sekretär". [Zurück]

107 V. Pädagogischer Kongreß 15.-18.05.1956 in Leipzig. Minister LANGE sprach über Aufgaben und Probleme der deutschen Pädagogik. Am 18.05.1956 wurde die achtklassige Grundschule in die obligatorische zehnklassige Polytechnische OberSchule (POS) umgewandelt. [Zurück]

108 Film: Straßenlieder. (Originaltitel: Canconi per le strade) Italien 1949. Erstaufführung DDR 29.07.1955. Regie: MARIO LANDI. Darsteller: LUCIANO TAJOLI, GIANNI BERTI, ANTONELLA LUALDI, CARLO NINCHI, VERA BERGMANN. [Zurück]

109 STENDHAL (HENRY BEYLE): Über die Liebe. Deutsch von WALTER HOYER. Reihe Sammlung Dieterich Bd. 126. Verlag Dieterich. Leipzig 1954 [Zurück]

110 GERHARD HAUPTMANN: Buch der Leidenschaft. Roman einer Ehe. Deutsche Buchgemeinschaft. Berlin 1929 [Zurück]

111 1951 wurde in Calbe das weltweit erste Niederschachtofenwerk erbaut. Aus vor Ort abgebauten Rohstoffen - eisenarmen Erzen (Raseneisenerz aus Badeleben) und Braukohle wurde Roheisen erzeugt. Die erste Anlage wurde 1951 in Calbe an der Saale (DDR) erbaut. Ende der 60er Jahre wurde die Produktion eingestellt. [Zurück]

112 Film: Der Onkel aus Amerika. BRD 1953. Regie: CARL BOESE. Autor: CURTH FLATOW, PETER PAULSEN. Musik: LOTAR OLIAS. Darsteller: HANS MOSER, WALTRAUT HAAS, GEORG THOMALLA, GRETHE WEISER, ARNO PAULSEN u.a [Zurück]

113 Film: Der Vagabund von Bombay. Originaltitel AWARA. Indien 1951. DEFA- Synchronisation. Darsteller: RAJ KAPOOR, NARGIS, SHASI KAPOOR, PRITHVIRAJ KAPOOR. Erstaufführung DDR: 23.09.1955, BRD: 7.3.1958. [Zurück]

114 KARL JULIUS WEBER (1767-1832): Demokritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Stuttgart 1832-36. [Zurück]

115 Siehe Notiz vom 25.4.56 [Zurück]

116 FREIBANK: Einrichtung zum Verkauf von minderwertigem, aber nicht gesundheitsschädlichem Fleisch. Die Preise waren durchgehend niedriger als in den übrigen Verkaufseinrichtungen. Die Freibank diente der Verwertung möglichst aller tierischen Produkte in einer Zeit des Mangels. Seit den 70er Jahren besteht im EG/EU-Raum ein Überangebot an Fleisch. Die Freibank hatte damit ihre wirtschaftliche Basis verloren. [Zurück]

117 Film: In gewissen Nächten (Originaltitel: Boniface Somnambule; ausländische Titel: The Sleepwalker; Il sonnambulo) Frankreich 1951. Deutsche Erstaufführung: 15.12.1952. Regie: MAURICE LABRO. Mit LOUIS DE FUNÉS [Zurück]

118 PARALLELO: Jacke oder Pullover mit angeschnittenen Ärmeln, in breiter Querrippe gestrickt. [Zurück]

119 Mathematik- und Sportleher EBERHARD REICHEL, unser Klassenlehrer von der 9. bis zur 11. Klasse, dann zum Wehrdienst bei der KVP delegiert. [Zurück]

120 GEORGES BIZET (1838-1875): Oper Carmen (1875) [Zurück]

121 RAYMONDE DIEN (*1929): französische Widerstandskämpferin gegen den Kolonialkrieg in Vietnam, Mitglied des Weltfriedensrates. Sie warf sich 1950 vor einen mit Waffen für Vietnam beladenen Zug und brachte ihn zum Stehen. Dafür wurde sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Bei dem Versuch, an den III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten (05.- 19.08.1951) in Berlin teilzunehmen, in Brüssel aus einem Tschechoslowakischen Verkehrsflugzeug geschleift und nach Paris zurück deportiert. In Paris sagte sie: "Mein Vaterland ist Frankreich. Ich will zurück in meine Heimat. Über Berlin!" Überall in der Welt wurde gefordert "Dien muß nach Berlin!"
Die Jugendherberge Chossewitz heute (2006): Weichensdorfer Str. 3 / 15848 Chossewitz / Tel.: 033673-5757 / e-Mail: JH-Chossewitz@jugendherberge.de / www.jugendherberge.de. Die Jugendherberge liegt etwas abseits des Ortes direkt am Chossewitzer See. Sie bietet insgesamt 58 Betten in Zwei- bis Sechsbettzimmern, die sich auf 3 Gebäude aufteilen. Sie verfügt über zwei Aufenthaltsräume und einen Clubkeller. Das Freizeitangebot im Haus umfasst Tischtennis, Spielesammlung und TV, draußen liegt ein Mehrzwecksportplatz für Volley-, Basket- und Federball, ein Bolzplatz, von den Gästen können Tischtennisplatten, ein Grill- und ein Lagerfeuerplatz sowie am See eine Badestelle genutzt werden. Der Besucher kann die Ruhe und die landschaftliche Schönheit des Schlaube- und Ölsetales auf über 70 km Wander- und rund 190 km Radwegen genießen. [Zurück]

122 AFFE: Mit Fell bespannter Tornister [Zurück]

123 HEINRICH MANN: Im Schlaraffenland (ein Roman unter feinen Leuten). Aufbau Verlag. Berlin 1950
HEINRICH MANN: Der blaue Engel. Aufbau-Verlag. Berlin 1950 [Zurück]

124 Film: Thomas Müntzer - Ein Film deutscher Geschichte. DEFA 1955/56. Erstaufführung: 18.5.1956. Regisseur: MARTIN HELLBERG. Darsteller: WOLFGANG STUMPF, MARGARETE TAUDTE, WOLF KAISER, MARTIN FLÖRCHINGER, HEINZ GIES, RUTH-MARIA KUBITSCHEK, WOLFGANG A. KAEHLER, WALTER LENDRICH. [Zurück]

125 Erinnerungen von RAINER HARTE (April 2006)
Einmal haben wir in der Niemann-Brauerei einen 5t-Anhänger mit Altpapier beladen (alte Pappen, Schriftstücke, Etiketten, Bierdeckel u.ä.). Der Erlös reichte für mehr als ein Klassenfest in der Glas-Tanzdiele [mit einer Tanzfläche aus von unten beleuchtetem Glas] Groest. - Bei Feiern/Festen war ich immer für die Bierbeschaffung zuständig. Eine Flasche Helles kostete in der Brauerei nur 35 Pfennig (im Laden 48 Pfg.). [Zurück]


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Letzte Änderung 31.08.2007


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